Für immer in Honig
Gottergebenheit erklären oder die Einführung der Wasserwirtschaft im Alten Ägypten aus unbändiger Freude am Planschen, sind sich alle einig darüber, was die »Vertrauenskrise der Investoren« ausgelöst hat: Gaunerei.
Moral oder deren Mangel hat allerdings zuvor noch nie ökonomische Tatbestände aufgehoben, sonst würde bei der bekannten, anthropologisch verankerten Freude des Menschen an Sinnenlust und Raserei längst die »entgrenzende Verschwendung« von Georges Bataille die Welt regieren – und ruinieren, aber egal.
Wenn George W. Bush, der dank einiger gezielter Steinwürfe eben noch aus dem einstürzenden Enron-Glashaus fliehen konnte, kurz darauf Miene macht, die ganze verdammte Wirtschaftskriminalität schlankweg zu verbieten, ist das der eher niedliche Teil der Tragikomödie. Er weiß: Der zureichende Grund dafür, daß jemand Mamas abkühlenden Apfelkuchen vom Fensterbrett mopst, ist nicht die böse Gier per se, sondern die Erreichbarkeit des Fensterbretts.
Gewinnbilanzen, heißt das, werden vor allem dann gefälscht, wenn es erstens möglich ist und zweitens keine Gewinne da sind, die man braucht, um Investoren anzulocken. Adam Smith war wieder einmal schlauer als die meisten Ökonomen, die nach ihm kamen. Trotz seiner Zentralmetapher von der »unsichtbaren Hand« des Marktes hat der nämlich, soweit man das von hier hinten sehen kann, nie naiv daran geglaubt, daß im Ganzen schon alles den objektiven Interessen der am Wirtschaftsgeschehen beteiligten Parteien folgen werde, weil Menschen, wie er wußte und aussprach, eben nicht ihren wie auch immer festzulegenden objektiven Interessen folgen, sondern nur dem, was sie als diese wahrnehmen. Solche Wahrnehmung ist übrigens mehr als ein Überbau: Sie ist der Sinn, den eine Produktionsform als ihren Gesamtgebrauchswert setzt, also notwendig virtuell, nie erreicht. Ökonomische Vertrauenskrisen gibt es nur da, wo »Erwartungserwartungen« (schönes Wort vom seltsamen Soziologen Niklas Luhmann, dem Verf. durch Klemens Braun überliefert) das Geschehen mitsteuern.
Der Himmel über New Yorks Stock Exchange war aus Glas, die Lichtreflexe blitzten wunderschön, dann war die harmonische Sphäre am Bersten.
Die Metaphern der schockartigen Devirtualisierung aber wurden aus der Welt von Filmen wie »Matrix« und »The Cell« bezogen, der Welt computergenerierter Sekundärevidenzen: »System Failure« lautete der Titel der vertrauenserschütterten Europa-Ausgabe von Fortune schon zwei Wochen vor dem WorldCom-Skandal.
Vier spekulative Blasen waren betroffen, bevor der Totentanz losging. Die erste betraf den Zukunftshandel, das Ensemble der immateriellen Wetten auf Hard- und Software, Biotech und anderes. Die zweite Blase waren die Börsenwerte, die den Startup-Jubel finanziert und seit ihrem Höchststand im März 2000 ein bis zwei Drittel Wert verbrannt haben. Die dritte waren, vor allem in Amerika, die Immobilien: Familie Summers aus Sunnydale in Kalifornien hat inzwischen Hypotheken auf ihren Hypotheken sitzen, alte Leute machen Pleite, und junge hängen sich einen Mühlstein um den Hals, um die kostspielige Tätigkeit »wohnen« zu finanzieren. Neunzehn Millionen Bürger der Vereinigten Staaten geben ein Drittel ihres Einkommens für diesen Luxus aus, ganz ohne Euro-Sorgen. Die vierte Blase ist die des Papiergelds: Wenn der Dollar, das Zeichen der Freiheit, richtig fällt, fällt weltweit vieles mit. Historische Sozialisten und Kommunisten von Charles Fourier und Henri de Saint-Simon über Robert Owen, Wilhelm Weitling, Marx und Engels bis zu Lenin, Mao, den letzten Verstaatlichern am greisen Rand der Labour Party und beherzten Endzeit-Franziskanern wie Oskar Lafontaine wollten und wollen den Reichtum, den der Kapitalismus produziert, real »gesellschaftlich« machen. Die Funktionäre dessen, was man so Kapital nannte, vernichteten und enteigneten zu dem Zeitpunkt seit fast zweihundert Jahren zyklisch, im Rahmen von Wertkrisen, mehr von diesem Reichtum, als jeder historische Sozialist, und wäre er zehn Stalins hoch, mit einem halben Dutzend dämlicher Fünfjahrespläne in den Sand setzen konnte.
Der virtuelle Fluchtpunkt eines »Zusammenbruchs« des Kapitalismus war lange vor dem Totentanz das diesen Krisen abgelauschte Gegenvirtuelle, Transzendente – nicht erst seit Marx, der den Hebel dafür im »Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate« erblickte. Aufschieben sollten diesen Fall noch eine Weile lang neue Märkte, Monopole und die technische
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