Für immer in Honig
Man kann den Menschen diesen Bedingungen ja anpassen, wenn man die nötige Biotechnologie mitbringt.«
Andy fiel nichts dazu ein. Valerie griff nach der geschälten Orange, und Judith Neumann hielt es aus ihren eigenen Gründen für das beste, so zu tun, als hätte sie nicht gehört, wovon die Rede war. In den letzten sieben Stunden an Bord des Moduls war sie auf einen Gedanken gekommen, der ihr sehr neu vorkam, reizvoll, ein bißchen gefährlich und richtiger als alles, was sie seit dem Beginn des Totentanzes in Berlin gedacht hatte.
3 Lena Dieringshofen saß angeschnallt am Quantencomputerterminal – sie vertrug einige der Innenohreffekte der Schwerelosigkeit schlecht und brauchte wenigstens die Illusion, beim Arbeiten irgendwie fixiert zu sein, wenn nicht dank der Schwerkraft, dann eben per Gurt.
Als einzige unter den Menschen, die sich im Moment an Bord der Station aufhielten, trug sie keine irdische Alltagskleidung, sondern einen klassischen himmelblauen Astronautenoverall, mit allerlei Missions-Aufnähern bestickt, und an den Füßen leichte Kunstlederstiefel. Jennifer näherte sich der Mathematikerin in der typischen Fallschirmspringer-Haltung enthusiastischer Neulinge im Astronautengeschäft: Arme und Beine von sich gestreckt, als spielte sie Absprung. Dann zog sie sich an einem Haltegriff nach unten, bis ihr Gesicht neben Lenas rechter Hand in der Luft hing. Die Wissenschaftlerin zeichnete gerade mit einem Metallstift Diagramme auf den Flüssigleuchtschirm.
»Was wollen Sie?« fragte Lena, nicht feindselig, nur sacht unwillig, sich bei der Arbeit stören zu lassen.
»Bloß bißchen zugucken. Ich versteh’s nicht wirklich, wissen Sie.«
Die Angesprochene zog die Mundwinkel leicht nach unten: »Ich dachte, Sie sind praktisch allwissend.«
Jennifer seufzte: »Mhjo. Was man so quatscht. Ich weiß viel. Mehr, als ich wissen möchte.«
Schweigen, statisches Summen der Geräte.
Dann fuhr Jenny fort: »Ich weiß, daß das, was Sie da machen, irgendwas mit den Löchern im Internet zu tun hat. Ich weiß, daß das Ding da ein Quantencomputer-Terminal ist, für den unten mehrere IT -Monopole jeden töten würden, der terrestrischen Technik ungefähr dreißig Jahre voraus, rechnet parallel ungeheure Datenmengen. Ich weiß, daß es um die Jagd nach den Weltraumwaffen der USA geht, daß Bush Junior und die anderen von Präsidentin Rodham Clinton Internierten ihr nichts darüber verraten, weil sie nichts wissen – die Programmierer, die das alles veranstaltet haben, diese große Aktion ›verbrannte Erde‹ in den Netzen, sind alle tot oder gehirngewaschen oder irr. Und ich weiß, daß Cordula in dieser Hatz nach gefährlichen Daten einerseits auf meinen steganographischen Nachlaß zu Lebzeiten setzt: Die Positionsangaben für verplombte, versiegelte Restspeicher-cum-Server, die ich damals auf die Minidiscs geladen habe, deren Versteck ich ihr verraten soll – und andererseits auf eine neue, schnelle Computerprogrammiersprache, die Sie hier entwickeln sollen und dann den W um Cordula beibringen, mündlich, one-on-one, damit wirklich nur Cordula, ihre Pfauenleute, ihre W und deren Auxilia sie beherrschen.«
Lena Dieringshofen schüttelte kaum merklich den Kopf: »Keine Sprache. Erst mal nur die Struktur für die Semantik einer Sprache, für Quantencomputer. Und dazu hat sie mich rekrutiert«, es klang indifferent, nicht eine Sekunde wandte sie die großen dunklen Augen vom Schirm ab, »weil ich Kategorientheoretikerin bin.«
»Sehen Sie? Das weiß ich alles – aber Wissen und Verstehen ist nicht dasselbe. Auf der Schule hat’s geholfen, und im Business auch – wenn es nur um Speicherkapazität geht, um Mnemokünste, um das Aufschnappen des Verborgenen, da bin ich groß. Aber was bedeutet das – eine Semantik einer Programmiersprache für Quantencomputer?«
»Es gibt«, erwiderte Lena ruhig, »verschiedene Arten von Semantiken für Computersprachen: Mathematische Semantiken sind dafür gut, Programmiersprachen in den Begriffen der Mengenlehre, der Algebra oder der Topologie zu beschreiben. Operationale Semantiken dagegen beschreiben einfach direkt die Programmausführung. In diesem letzteren Bereich wären meine Kenntnisse nutzlos. Aber in der mathematischen Semantik … ja, seit gezeigt werden konnte, daß bestimmte Gitter mit bestimmten Funktionen bestimmter Rechenvorgänge eine kartesisch-geschlossene Kategorie sind, und die Anwendbarkeit der Kategorien auf die Algebra für algebraische Varianten
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