Für immer in Honig

verurteilen. Aber wir haben zugleich eine ganz neue Sorte Abneigung gegen dasselbe Universum entwickelt.«
    »Wieso denn das?« hörte Robert sich selber fragen, obwohl er eben noch nicht das geringste Bedürfnis verspürt hatte, sich in diese eigenartige Debatte einzuschalten.
    »Weil wir ihm so schön egal sind«, antwortete der Alte lächelnd, und als er sah, daß Robert ihn dafür, vermutlich unabsichtlich, jedenfalls aber nicht bewußt, mit einem sehr feindseligen Blick belohnte, führte er geduldig aus: »Das Universum ist nun mal uneinholbar größer als wir. Das Ich fährt hoch dagegen, jedenfalls das Ich im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, das bürgerliche Ich, es flackert auf dagegen, wie eine Stichflamme. Wir müssen diesem verdammten Universum irgendwas antun, damit wir uns weniger ausgeliefert vorkommen. Wir müssen Punkte machen dagegen. Plastik ist eine wunderbare Waffe für diesen Krieg: Wir machen was, das dieses lebendige Universum nicht verdauen kann – nonbiodegradable, dieses prima Wort, ganz erstaunlich, diese wahnsinnigen, komplett unnatürlichen Riesenmoleküle.«
    Philip bruddelte leicht verwaschen: »Die Artefakte dieser Zivilisation werden für immer halten, har har.«
    Der Alte sagte: »Für immer … manche hoffen es, manche fürchten es. Aber die, die drauf gehofft, drauf gesetzt haben, die haben fürs erste die Welt erobert. Also woher kommt es, dieses böse Zeug? Aus der Fabrik? Aus der Tiefe der Geschichte, der Metaphysik? Es macht die Lebendigen tot. Es tötet die Nervenenden. Wenn die Nervenenden tot sind, kann man das Hirn viel besser manipulieren. Die Sinne sind unsere einzigen Korrekturwerkzeuge gegen die Manipulation, und …«
    »Whoa, whoa, whoa …«, Philip hatte sein Glas auf dem Boden abgestellt, hob abwehrend beide Hände, »du mußt dich schon entscheiden, Norman, was du uns erzählen willst – jetzt klingt das, als ob du Plastik wieder für was ganz anders Böses halten willst, was Politisches. Mal ist es das, mal ist es Hybris, mal ist es Ursache, mal Folge …«
    Der Alte ließ sich nicht beirren: »Warum kann es nicht all das zugleich sein? Aber gut, sagen wir’s so, damit du’s verstehst: Wenn man jemanden von was überzeugen will, egal ob man ein Mensch ist, ein Dämon, meinetwegen auch der Teufel selbst … wenn man jemandem was andrehen will, das sehr schwer zu schlucken ist, wäre es nicht eine gute Idee, ihn erst zu betäuben? Und Plastik kann das. Es macht dich taub, es tötet deinen Tastsinn und … von Kindheit an kriegen wir’s eingetrichtert.«
    »Du nicht, Norman«, widersprach Dr. Rock.
    »Ich nicht, das stimmt, aber Philip hier, und sein Freund Robert, und Frau Mehring, und Sue und Dawn … Warum hat sich der Mißbrauch von Kokain so weit verbreitet, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, und dieses Crack, und später diese Scheiße von Sagai, Schwester Mitternacht, MTS , all diese Sachen? Weil die Leute so tot sind, daß sie einfach was brauchen, das die Nervenenden wieder hochjagt. Tja, und dann gab’s und gibt’s da auch noch das Fernsehen, die Ästhetik des Plastiks im höchsten Grad …«
    Der Alte räusperte sich, aber niemand kam mehr dazu, diesen speziellen Gesprächsfaden fortzuspinnen, weil in diesem Moment der Türgong tönte. Philips Gesicht hellte sich augenblicklich auf, und Roberts fragendem Blick begegnete er mit einer sehr schlichten Auskunft, die ihre Wirkung auf den Freund nicht verfehlte: »Das wird Jenny sein. Da sind wir ja dann komplett!«
    4  »Habt ihr das Boot gesehen? Wir sind übern Sumpf gekommen, mit so einem riesigen Fährenteil, Monster-Ventilator-Antrieb, wie in »Miami Vice«, beim Abfangen von Wasserflugzeug-Drogenschmugglern …«, sagte Jenny Brunner und stand wie leuchtend in der Tür.
    »Hallo, na endlich!« lachte Philip. Robert fiel nichts ein, der staunte bloß. Philip sah ihn an, sagte entschuldigend: »Du bist ziemlich im Dunkeln getapert, darüber, was auf der Welt los ist … Ich dachte, es ist früh genug, wenn du das alles hier mitkriegst.«
    »Ja, danke«, maulte Robert zerstreut. Jenny lächelte ein bißchen traurig, als er aufstand, zu ihr ging und sie schweigend so lange umarmte, mit geschlossenen Augen, bis er merkte, daß auch Philip jetzt da war, sie drei wieder zusammen, wie am Anfang. Etwas Komisches, nicht zu Beschreibendes schauderte da durch ihn durch, ein Gefühl, als ob sie nicht eigentlich Wiedersehen feierten, die Liebenden aus dem Tal voller Sonne, sondern hier bloß den