Fuer immer mein - Mechthild Kaysers erster Fall
Chef!“
Roder war zufrieden. Er schob seine vor ihm ausgebreiteten Unterlagen zusammen, und mit der Aufforderung „An die Arbeit, Männer!“ entließ er seine Ermittler. Dann ging er in sein eigenes Büro. Hier sah es immer so aus, als wenn er gerade in Urlaub gehen wollte oder als wenn hier niemand mehr arbeiten würde. Roder achtete mit peinlicher Genauigkeit darauf, dass maximal der Vorgang auf seinem Schreibtisch lag, mit dem er gerade beschäftigt war. Alles andere hatte er sorgsam in schwarze Ringordner eingeordnet, die er mit einem eigenen System von Aktenzeichen versehen hatte. Mittlerweile waren zwei der Wände vom Boden bis zur Decke mit Regalen bestückt, auf denen akkurat aufgereiht über hundert Ordner standen. Ein ganzes Leben Arbeit war hier aufgestellt und von jedem ehrfurchtsvoll zu bewundern. Roder hatte ein phänomenales Gedächtnis. Mittels Schlüsselworten konnte er jeden seiner Fälle rekapitulieren, und noch nie musste er einen Vorgang suchen oder auch nur mehrere Akten ziehen, um den gewünschten Fall wieder in Händen zu haben. Viele beneideten ihn um diese Eigenschaft, aber es blieb Roder auch nicht verborgen, dass ebenso viele ihn für eine „arme Sau“ hielten, die nichts anderes im Leben hatte als ihren Beruf. Und so war es auch. Alle Versuche Roders, eine Beziehung einzugehen mit dem Ziel, vielleicht auch eine Familie zu gründen, scheiterten. Sein Beruf stand bei ihm immer im Vordergrund. Alles hatte sich dem unterzuordnen. Das konnte keine Basis für eine Beziehung sein. Roder wusste das. Er hatte sich damit abgefunden, allein zu leben. Es gefiel ihm auch so. Er stellte sich ganz in den Dienst seiner Aufgabe. Urlaube langweilten ihn, Feierlichkeiten versuchte er zu vermeiden. Die wenige Freizeit, die er sich gönnte, nutzte er zum Lesen von Sachbüchern und Fachzeitschriften.
Als alle Arbeitsplätze mit Computern ausgestattet wurden, wehrte Roder sich erfolgreich dagegen, seinen alten hölzernen Schreibtisch gegen einen modernen einzutauschen. Da das auch schon wieder über zehn Jahre her war, wirkte seine Einrichtung museal. Kollegen hatten im Scherz einmal ein Schild an seine Tür geheftet mit der Aufschrift „Criminalbureau zu Kaisers Zeiten“. Solcher Kinderkram interessierte Roder aber überhaupt nicht.
Er achtete darauf, dass Sauberkeit und Ordnung in seinem Büro herrschten. Er verabscheute an die Wand gehängte Urkunden, mit Tesafilm an Pinwände geklebte Urlaubskarten aus fernen Ländern, die zeigen sollten, wie weit gereist man war. Wenn er eine Familie gehabt hätte, würde ein Photo von Frau und Kindern in einem silbernen Rahmen an einer bestimmten, nur für ihn einsehbaren Stelle auf seinem Schreibtisch platziert werden und dort so lange unverrückt stehen, bis er in Pension ging. Andere Kollegen schienen das Bedürfnis zu haben, ganze Lebensgeschichten ihrer Angehörigen in ihren Zimmern zu präsentieren nebst ersten Malerzeugnissen ihrer eigenen Brut. Er hatte nicht einmal eine Kaffeemaschine.
Roder griff sich das Telephon. Trotz seiner nachdrücklichen Anfrage hatte er von den Flensburger Kollegen noch immer keine Hinweise erhalten, wie Mathilde Burkhardt nach Bremen gekommen sein konnte, ob sie Kontakte nach Bremen pflegte und ob sie ein Auto besaß. Lediglich die Mitteilung, dass die Ermittlungen in ihrem persönlichen Umfeld keine Anhaltspunkte erbracht hatten, reichte ihm nicht. Er wollte endlich eine Akte haben.
Währendessen startete Mechthild Kayser in ihrem Büro den PC und loggte sich in die Vermisstendatei ein. Ayse erhielt den Auftrag, in Abstimmung mit dem Polizeipräsidenten die Presse einzuladen und die erforderlichen Vorbereitungen zu treffen. Als sie wieder alleine war, befiel Mechthild eine innere Unruhe. Sie spürte den Drang, ihr Büro zu verlassen, hatte sich hierzu auch schon während der Besprechung entschlossen, aber jetzt wusste sie nicht mehr, zu welchem Zweck. Sie zog ihren dunklen Mantel an und machte sich einfach auf den Weg. Als sie im Hof des Polizeihauses ihr Fahrrad erreichte, wusste sie wieder, wohin sie wollte – in die Gerichtsmedizin. Obwohl ihr Bedürfnis, einer Leichenöffnung beizuwohnen, nie besonders groß war, stellte sie beschämt fest, dass sie die Tote vom Wallgraben noch nicht einmal richtig gesehen hatte. Sie schwang sich auf ihr Rad und fuhr los. Wenn sie etwas länger über die Motive ihrer Ruhelosigkeit nachgedacht hätte, hätte sich ihr auch erschlossen, dass ihr eigentliches Interesse der Arbeit Bernd
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