Fuer immer und einen Tag
Fantasie entworfen hatte, noch einmal ernsthaft überdenken musste. Seine glänzende Rüstung wirkte mittlerweile ausgesprochen stumpf. Neue Ideen begannen in ihrem Kopf aufzutauchen, wie sie gleichermaÃen Gerechtigkeit und Rache üben konnte, und die Ohnmacht, die sie eben noch an ihrem Schreibtisch empfunden hatte, wurde von einem Machtgefühl abgelöst, das ihr in den Fingerspitzen kribbelte.
Ihr Ausflug ins Büro war körperlich sehr viel anstrengender gewesen, als sie erwartet hatte. Da sie spürte, wie der Druck in ihrem Kopf anstieg, gab sie ihre Schreibpläne vorläufig auf und verbrachte zwei Tage damit, sich zu erholen. Am Freitagmorgen schlieÃlich fiel ihr die Decke auf den Kopf, aber sie konnte immer noch nicht in ihre Fantasiewelt entfliehen. Während ihrer erzwungenen Pause waren ihr Zweifel an der Richtung gekommen, in die ihre Geschichte sich entwickeln sollte, und die klaustrophobische Atmosphäre der Wohnung trug noch zu ihrer Schreibblockade bei. Sie wusste, dass sie sich keine Aufschübe erlauben konnte; die Zeit arbeitete nicht für sie, sondern gegen sie, also packte sie ihren Laptop weg, nahm die Pillendose, die ihre Mutter für den Tag bestückt hatte, und rief sich ein Taxi.
Das Lokal ihrer Schwester, Travellerâs Rest genannt, lag in einer baumbestandenen Allee, nicht weit vom Sefton Park, am Rand der Liverpooler Innenstadt. Mit seinen blanken HolzfuÃböden und den bunt zusammengewürfelten Tischen und Stühlen hatte es ein ungezwungenes, bohemehaftes Flair. Im vorderen Teil gab es vom Boden bis zur Decke reichende Fenster mit flieÃenden karminroten Vorhängen davor und im hinteren eine Reihe von gemütlichen Nischen.
An Wochentagen war tagsüber nie viel los im Restaurant, doch heute machte es sogar einen geschlossenen Eindruck, und sie rechnete halb damit, dass die Eingangstür nicht nachgab, als sie dagegendrückte. Drinnen war es nur unwesentlich wärmer als drauÃen, wo die Herbstluft allmählich schon den scharfen Biss des Winters bekam. Es waren nur zwei Tische besetzt â falls Louise also darauf baute, den Raum mit Körperwärme aufzuheizen, würde sie mehr Personal einstellen müssen. Allerdings schien schon der einzige Kellner im Dienst, Steven, nicht so recht zu wissen, wohin mit sich. Eines seiner wachsamen Augen hielt er auf die Gäste gerichtet, bereit, bei der leisesten Andeutung eines Wunsches loszustürzen, und das andere auf den Eingang. Zuerst sah er kurz enttäuscht drein, als er merkte, dass keine Kundschaft zur Tür hereinspazierte, doch dann erhellte sich seine Miene bei Emmas Anblick.
»Wir haben dich erst am Wochenende erwartet«, sagte er, nahm ihren Arm und führte sie in eine der Nischen am anderen Ende des Gastraums. »Nicht, dass ich was dagegen habe, es ist toll, dass du wieder da bist.« Der Blick, mit dem er sie empfing, sagte ihr, wie furchtbar leid es ihm tat, dass ihr Krebs zurück war und dass sie ihn diesmal vielleicht nicht überwinden würde. Und wie bei den meisten Menschen musste dieser Blick genügen, denn seine Gedanken auszusprechen, das schaffte er nicht.
Emma nahm die Botschaft trotzdem dankbar an und wechselte dann auf sicheres Terrain über. »Ich dachte, ich schau mal, wie das Geschäft so läuft. Wie Louise zurechtkommt, wenn ich ihr nicht dauernd reinrede.«
Steven zog eine Grimasse und sah sich zwischen den leeren Tischen um. »Sie ist gerade auf einen Sprung zum GroÃhandel, aber es läuft ganz gut«, flunkerte er. »Komm, ich nehm dir deinen Mantel ab.«
»Nein, danke«, sagte Emma fröstelnd. »Es ist eiskalt hier drin.«
»SparmaÃnahmen.«
Sie verdrehte ungläubig die Augen zur Decke. »Das schafft ja wohl kaum ein einladendes Ambiente. Ich bin jetzt offiziell wieder als Beraterin dabei, und mein erster Vorschlag lautet: Dreht die Heizung hoch.«
»Aber â¦Â«, wollte Steven einwenden. Er arbeitete schon vom ersten Tag an für Louise und wurde wie ein Familienmitglied behandelt, was bedeutete, dass er den Zorn beider Schwestern kennengelernt hatte. Nun stand er vor einem Dilemma. Louise unterstützte seine eigene berufliche Entwicklung, indem sie ihm erlaubte, seine Schichten so zu legen, dass er an einem Catering-Kurs teilnehmen konnte, und ihn gelegentlich auf die Küche loslieÃ. Entweder blieb er weiterhin bei ihr gut angeschrieben, oder er tat, was Emma
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