Gaelen Foley - Amantea - 03
unter seiner Samtkappe in alle Richtun- gen abstanden. Er war sich seiner Einsicht in Gottes Willen genauso sicher, wie er es genoss, die Gärten seines Palazzos zu pflegen. Meist predigte er mit einer donnernden Eloquenz, und wenn er sich über Untugend und Ausschweifungen erboste, wusste jedermann, von wem er sprach.
Der Bischof sah im Kronprinzen nur den lasterhaften Sohn eines guten Vaters. Zum Glück gab es noch einen zweiten Sohn – den liebenswürdigen, gehorsamen zehnjährigen Prin- zen Leo. Justinian war vom König zum Vormund des kleinen Prinzen ernannt worden. Dadurch besaß er das Recht der Regentschaft, was bedeutete, dass der Bischof – falls Rafael auf Grund seiner Orgien frühzeitig von Gott zu sich gerufen wurde – statt Leo herrschen würde, bis der Junge selbst alt genug war.
Aus Gründen, die Rafael nicht verstand, liebte das Volk von Amantea seinen selbstgefälligen, auf großem Fuß lebenden Bischof.
Der Premierminister allerdings war das Gegenteil von Bi- schof Justinian, auch wenn Rafael ihn ähnlich beurteilte. Gepflegt, ordentlich und zurückhaltend, war Don Arturo der Höfling in Person. Sein Verstand war messerscharf, und zum
Glück für Amantea hatte er sich dem Land stets als treu ergeben erwiesen. Er war von zierlicher Statur und hatte braune Augen und einen schmalen Mund, der nur weich wurde, wenn er die Kinder seiner Schwester sah. Er selbst war ohne Nachfahren geblieben, denn seine Frau war bereits vor zwei Jahrzehnten verstorben, und er hatte niemals mehr geheiratet. Amantea war sein Leben.
Wenn Rafael seine Schlechtigkeit bereut hätte, wäre der hochtrabende Bischof Justinian wahrscheinlich gewillt ge- wesen, ihm zu verzeihen. Der Premierminister jedoch hatte persönlichere Gründe, den Kronprinzen zu hassen.
In diesem Moment schob ihm Herzog Orlando di Cambio, sein Florentiner Vetter, unauffällig die Notizen zu, die er gemacht hatte.
„Grazie, Vetter.“ Rafael überflog das Papier und fühlte sich durch die Geste seines Verwandten ernüchtert. Er wuss- te, dass die meisten Mitglieder des Kabinetts es vorgezogen hätten, Orlando statt ihn auf dem Thron zu sehen.
Der Florentiner, der das typisch markante Gesicht der Fiori besaß, hätte leicht für den älteren Bruder des Prinzen gehal- ten werden können. Beide Männer waren groß, breitschultrig, gut aussehend und auf Grund ihres Standes arrogant. Doch während Rafael goldbraunes Haar und dunkelgrüne Augen besaß, hatte der fünf Jahre ältere Orlando schwarzes Haar und hellgrüne Augen.
Sein Vetter war ein Einzelkämpfer, der immer Schwarz trug. Ehe er Florenz verlassen und auf die Insel seiner Vor- fahren gezogen war, hatte er große Erfolge als Reeder gefei- ert. Nun diente er Amantea im Finanzministerium. Mit seiner nüchternen Art hatte er das Vertrauen des Kabinetts und des Königs gewonnen. Besonders der Premierminister schätzte ihn.
„Gewohnheitsmäßige Verspätung gehört zur Sünde des Stolzes, Prinz Rafael“, knurrte der Bischof.
„Nun, es tut mir ausgesprochen Leid“, sagte Rafael in die Runde. Er schaute die Männer unschuldig an. „Zufälliger- weise wurde ich von Straßenräubern überfallen.“
Der Bischof und ein paar seiner Berater rissen vor Überra- schung den Mund auf. Aber Don Arturo rollte bloß mit den Augen.
Der König zog die Brauen hoch, und Rafael lächelte ihn fröhlich an.
„Wurden Sie verletzt?“ fragte Vetter Orlando besorgt.
„Es ist nichts Schlimmes passiert. Alle außer einem der Räuber befinden sich bereits in Gewahrsam. Meine Männer suchen noch nach dem Flüchtigen.“
„Gut.“ Lazar nickte.
„Ein Mitglied der königlichen Familie anzugreifen!“ sagte Orlando und lehnte sich mit angewiderter Miene zurück. „Ich bin froh, wenn man sie hängt.“
„Ich vermute, dass sie nicht wussten, wen sie angriffen. Schließlich befand ich mich in einer geliehenen Kutsche“, erklärte Rafael.
Orlando schüttelte genauso wie die anderen Kabinettsmit- glieder den Kopf.
Lazar räusperte sich. „Nun, Rafael. Wir haben dich heute kommen lassen, weil ich mich entschlossen habe, eine Ruhe- pause einzulegen. Ich werde morgen abreisen.“
Fassungslos blickte Rafael drein.
Sein Vater hatte seit dreißig Jahren kein einziges Mal das Zepter aus der Hand gelegt.
„Nachdem nun der unerträgliche Korse erneut gefangen gesetzt wurde – wir wollen hoffen, dass es diesmal für im- mer ist – , habe ich mich entschlossen, gemeinsam mit deiner Mutter nach Spanien zu fahren.
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