Galdäa. Der ungeschlagene Krieg (German Edition)
wären. Bonnie und Markus schauten spontan den Tisch an und suchten nach Scherben. Natürlich waren da keine; die Platte zeigte eine deutliche Kerbe dort, wo der Karnese das Metall hingehämmert hatte. Markus hätte exakt sagen können, wie viel Zehntelmillimeter tief die Kerbe war und in welchem Winkel zur Kante sie verlief.
»Die Leute auf Galdäa«, erklärte Kaddok, »haben im Rauschen einen Quellcode versteckt, ein Superprogramm. Ich habe nicht viel davon entziffern können, denn als ich es auseinandernehmen wollte, zerstörte es sich selbst.«
»Zerstörte sich selbst?«, fragte Bonnie. »Ein Programm?«
Markus Hataka schüttelte den Kopf. Dergleichen hatte er nie gehört. Selbstmörderische Software.
»Ich glaube, das ist höher als nur ein Programm«, sagte der Karnese, und in seiner Stimme lag Ehrfurcht. »Dieser Quellcode erzeugt in jedem infizierten Rechner eine Halbintelligenz, eine Art von schlauem elektronischen Haustier. Ein Programm, das in jedem befallenen Rechner aufs Neue und individuell ersteht. Nur ist es nicht das Spielzeug des Rechnerbesitzers. Es ist und bleibt ein Haustier Galdäas. Es ist subversiv. Es sucht gezielt die am stärksten geschützten Bereiche und zerstört sie vorrangig. Es fertigt Analysen des möglichen Schadens an und richtet den größtmöglichen an. Es stopft Kopien von sich selbst in jede verfügbare Ecke, im Rauschen versteckt. Fortpflanzungsfähige Kopien. Es schreibt sich selbst um, wenn es entdeckt zu werden droht. Während alle denken, sie hätten es mit einer Art von Datenschwemme zu tun, die alle Leitungen überlastet, lockert dieses halbintelligente Programm längst die Schrauben der Fundamente.«
Kaddok fuhr mit dem Daumen über die Delle in der Tischplatte. Auf Markus machte diese Geste den Eindruck einer gedankenlosen Zärtlichkeit, und er musste seinen Blick von Kaddok losreißen.
»Auf Die Neue Wohlfahrt hatte dieses Teufelsding die kompletten Sicherheitssysteme pulverisiert – sie funktionierten zwar und zeigten nicht die geringste Fehlfunktion, brachen aber im Ernstfall zusammen, so hilflos wie ein Erdenmensch auf Karna. Es genügte die bloße Annäherung eines nicht angemeldeten Flugkörpers, und das unüberwindliche System war von einem Sekundenbruchteil auf den anderen nicht mehr vorhanden.«
»Raffiniert«, sagte Markus. Er versuchte darüber nachzudenken, ob denn dieses fiese Stück Software in sein Musiksystem eingedrungen sein mochte, und was mit all seinen gespeicherten Stücken geschehen war. Vor allem mit dem, was er in jener verhängnisvollen Nacht für den Kutembea-Nachfolger eingespielt hatte.
»Teuflisch«, sagte Kaddok. »Natürlich ließ die Elektronik im Schiff des Karnesen ebenso schlagartig alle Hemmungen fahren. Plötzlich verwandelte sich für den armen Mann die Welt. Keine Hindernisse mehr, keine Restriktionen, keine Grenzen. Ein Kosmos voller Regeln verschwand und machte der absoluten Freiheit Platz. Vielleicht war es dieser Augenblick, der seine labile Seele über die Kante stieß. Für ihn war die Wirklichkeit verschwunden.«
»Und Galdäa ...«, setzte Bonnie an; Kaddok ließ sie den Satz nicht zu Ende sprechen.
»Galdäa hat diesen verflixten Quellcode so genial geschrieben und versteckt, dass mir absolut kein Gegenmittel einfallen will. Das ist zu hoch für mich.«
Galdäer als Rechner-Genies und Programmier-Gurus? Markus hatte für eine halbe Sekunde ein Déjà-vu-Erlebnis, irgendwie war da etwas gewesen, irgendeine so raffinierte elektronische Teufelei, dass als Urheber nur einer in Frage kommen konnte, niemand sonst, und nicht Atibon Legba. Von Galdäa war da keine Rede gewesen. So schnell, wie der Gedanke aufgetaucht war, verschwand er wieder. Ein anderer drängte sich vor.
Markus Hataka erinnerte sich daran, dass Bonnies Truppe sein komplettes Klanglabor abgeschaltet, eingepackt und mitgenommen hatte; seine Klänge und Melodien dürften also in Sicherheit sein. Fragte sich nur, wo genau.
»Der galdäische Krieg«, sagte Bonnie.
»Bitte?« Markus und Kaddok waren gleichermaßen verblüfft.
Bonnie starrte sie an, als könne sie kaum verstehen, wie denkende Wesen so dumm sein konnten. »Der galdäische Krieg ist nicht zu Ende«, erklärte sie. »Jedenfalls sehen es die Galdäer so. Für sie ist der galdäische Krieg ein ungeschlagener Krieg. Und sie versuchen, ihn zu gewinnen – ein ungelöster Konflikt muss beendet werden, hat die Konsulin gesagt. Ein Krieg ist ein Konflikt, der nur durch die völlige Harmonie
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