Gast im Weltraum
sagte der Historiker und blieb vor einer Tür stehen. „Hier wohnt Callarla, die Frau Goobars.“
„Die Frau Goobars?“ fragte ich. Callarla – das war doch der Name der Frau, die ich am ersten Abend auf der Gea kennengelernt hatte.
„Ja.“
„Und er?“
„Er wohnt auch hier, aber auf der anderen Seite. Das heißt, der Zugang zu seinen Räumen befindet sich auf der anderen Seite, in der Gasse der Physiker. Beide Wohnungen sind miteinander verbunden. Allerdings wohnt und lebt Goobar in Wirklichkeit in seinem Laboratorium.“
Als Ter Haar die Tür öffnete, fiel mir plötzlich ein, daß man auf der Erde viel über das Wesen eines Menschen erfahren kann, wenn man die Einrichtung seiner Wohnung betrachtet. Hier, auf der Gea, sagt auch der Ausblick durch die Fenster manches über ihn aus, denn er ist ein von ihm selbst gewähltes videoplastisches Gebilde, das seinem Wesen am meisten entspricht. Während mir dieser Gedanke durch den Kopf ging, hatten wir die Schwelle zu Callarlas Wohnung überschritten.
Wir befanden uns in einem ganz einfach ausgestatteten Landhaus. Decke und Fußboden waren strohfarbene, glattgehobelte Bretter. In der Mitte stand ein niedriger Tisch mit einer Glasplatte, umgeben von tiefen Sesseln mit schrägen Rückenlehnen. An den Wänden waren zahlreiche Kübel mit blütenlosen Blattpflanzen aufgestellt. Das ganze Innere des Raumes schien dem Garten vor den Fenstern zugewandt zu sein, der vor Nässe triefte, denn dort draußen fiel dichter Regen. In der Ferne zogen Wolken dahin, nicht hoch oben an einem imaginären Himmel, sondern tief über der Erde. Hin und wieder zeigten sich zwischen ihnen die schattenhaften Umrisse brauner und schwarzer Berghänge. Monoton rauschte der Regen. Das leichte Aufschlagen der Tropfen auf dem Kies der Gartenwege, das Plätschern in der Dachtraufe, ja, sogar das leise Platzen der Luftblasen auf den Pfützen war zu hören. Dieser Anblick bezauberte mich so sehr durch seine Alltäglichkeit, daß ich mich nicht von der Stelle rührte, bis die Frau des Hauses vor mir stand und mir die Hand reichte.
„Ich bringe beinahe einen Kollegen von dir mit, Callarla, unseren Doktor”, stellte der Historiker mich vor.
In diesem trüben Halblicht, das durch die Fenster hereindrang, kam mir Callarla noch kleiner, zierlicher und zugleich jünger vor als an jenem Abend, an dem ich sie zum erstenmal gesehen hatte. Sie trug ein dunkelrotes Hauskleid. Der Stoff war so vielfältig und fein gemustert, daß er einem mit Silberfäden gestickten Plan des Labyrinths glich. Außer Callarla waren zwei Menschen in dem Zimmer, ein Mädchen mit rötlichem Haar, das voll und schwer auf dem Kragen ihres blauen Kleides lag, und ein athletisch gebauter Mann, dessen Gesicht im Schatten blieb.
„Das ist die Architektin Nonna. Sie will die Baukunst auf anderen Planeten kennenlernen“, sagte Callarla, „und das ist der Mechanoeuristiker Tembhara.“
„Spötter behaupten, ich baue Elektronengehirne aus Faulheit. Aber das darfst du nicht glauben“, erklärte Tembhara. Er beugte sich vor, und sein Gesicht war nun im Licht. Es war dunkel, breit, ein Atavismus, anscheinend von Negervorfahren, und energiegeladen wie ein gespannter Muskel. Ein leichtes Lächeln huschte über seine Züge, das Weiß der Augäpfel blitzte auf, und gleich war es wieder verschwunden, wie weggewischt.
Callarla bat uns, Platz zu nehmen. Ich aber trat ans Fenster, denn mich lockte der herbe, strenge Duft des Laubes und der feuchten Tannennadeln, der ins Zimmer strömte. Ich hob den Kopf und sah, wie sich an der Dachrinne große Wassertropfen sammelten, deren dicke, glasige Bäuchlein das dunkle Blaugrau am Horizont widerspiegelten. Sie wanderten im Gänsemarsch die Traufe entlang, hielten sich an ihrem Rand fest und ließen sich dann, wie zu allem entschlossen, zu Boden fallen. Ich streckte die Hand aus. Die Tropfen glitten unfühlbar als leuchtende Streifen über meine Finger. Ich war nicht so sehr verwundert über diese Erscheinung, die ich erwartet hätte, als vielmehr über meine Enttäuschung. Vom leichten, lauen Winde umweht, lehnte ich mich an das Fensterbrett und wandte mich den anderen zu. Das Gespräch, das durch unser Kommen unterbrochen worden war, nahm seinen Fortgang.
„Und wie stellst du dir die von der Schwere befreite Architektur vor?“ fragte Tembhara die Architektin.
„Ich denke an eine Konstruktion, die keine Senkrechten hat“, entgegnete sie. „Stellt euch einen zwölfzackigen Stern mit
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