Gaunts Geister - Band 1-3
Wir ratterten durch
eine Straße und durch die nächste und wurden dabei bis ins Mark erschüttert.
Ich fuhr im Führerhaus zwischen
Corbec und dem Sergeanten.
Nach ein paar Minuten schnaufte
Letzterer.
»Komischer Geruch«, sagte er.
»Süßlich, duftend.«
»Ja«, sagte Corbec, der
ebenfalls schnüffelte.
Ich roch nur ungewaschene Leiber,
alten Schweiß und Rauch.
»Haben Sie heute ein Bad
genommen?«, fragte er mich.
»Ja!«, sagte ich empört.
»Das muss es sein«, sagte
Corbec.
»Glücksschwein«, sagte der
andere, Varl.
Wir bogen auf eine Hauptstraße
und wurden langsamer, um im Slalom ausgebrannten Fahrzeugen und Granatlöchern
voller Trümmer auszuweichen, wo eingestürzte Hausfassaden auf die Straße
gefallen waren. Ein Stück voraus standen Leute Schlange vor einer Hilfsstation,
die in einer alten Fabrik eingerichtet worden war, um dort Lebensmittel und
grundlegende Versorgungsgüter in Empfang zu nehmen. Die Hauptstraße war fast
einen Kilometer lang, und die Schlange reichte von einem Ende zum anderen.
Corbec starrte sie durch die
verdreckten Scheiben des Lasters an, als sie an ihnen vorbeifuhren. Die
Heimatlosen die Trauernden, die Hungrigen, die Kranken. Dünne Menschen mit
eingefallenen, hohläugigen Gesichtern, zerbrochenen Hoffnungen und leeren Blicken.
Ihre Haut war durchgängig weiß, ihre Kleidung grau von Asche und schwarz von
Schmutz. Es war, als sei die Welt nicht mehr farbig, sondern schwarz-weiß. Er
schien fasziniert zu sein.
»Was ist denn?«, fragte ich.
»Sie ... Sie sehen aus wie die
alten Fotobilder von meinen Großeltern und deren Verwandten«, erwiderte er mit überraschender
Ehrlichkeit. Seine Stimme hatte einen Unterton entsetzlicher Traurigkeit. »Wir
hatten diesen großen Sims aus Nalholz über dem Küchenherd, damals in Pryze. Da
hat meine Mama die Fotobilder aufgestellt, jedes in einem kleinen Rahmen.
Onkel, Tanten, entfernte Cousinen und Cousins, Hochzeiten, Taufen. Ich habe
immer gedacht, dass sie steif und unbeholfen aussehen, so seelenlos, wissen
Sie? Schwarz-weiße Gesichter, wie die da draußen.«
Seine Worte waren traurig und
ganz anders als alles, was ich je von einem so behaarten Baum von einem Krieger
zu hören erwartet hätte. Lady Chass hatte mich gebeten zu versuchen, die Seele
der Tanither einzufangen, und hier, völlig unerwartet und ohne zu suchen,
schien ich bereits einen Blick auf sie geworfen zu haben.
»Manchmal«, fügte Corbec hinzu
und räusperte sich, »und jetzt wäre einer dieser Gelegenheiten, wünschte ich, ich
hätte ein paar von diesen alten Bildern an dem Morgen eingesteckt, als ich das
Haus verlassen habe und zum Gründungsfeld gegangen bin. Sie hätten mir viel
bedeutet, nur Verwandte, denen ich kaum einmal begegnet bin. Oder niemals
begegnet bin. Leute, über deren Leben ich nichts gewusst habe. Aber jetzt wären
sie, wenn ich sie noch hätte, wie eine Rettungsleine zurück nach Tanith.«
»Wo ist Tanith?«, machte ich
den Fehler zu fragen.
»Nirgendwo, Herr Künstler«,
sagte Corbec, plötzlich aus seiner Melancholie gerissen. »Die Welt ist tot, und
sie ist nicht mehr da, und wir sind alles, was noch übrig ist. Genau das macht
uns zu Geistern.«
Die lange Reihe der
Elendsgesichter huschte weiter an den Fenstern des Führerhauses vorbei.
»Damit das klar ist ... Wir
haben doch hier gewonnen, Chef, richtig?«, fragte Sergeant Varl höhnisch. Varl
fuhr den Laster mit einem geschmuggelten Lho-Stäbchen zwischen den Lippen. Die
starken Dämpfe erfüllten das Führerhaus und ließen meine Augen tränen, doch
Corbec schien kein Problem damit zu haben, es durchgehen zu lassen.
»Ja, wir haben gewonnen. Alle mal
hersehen und staunen — so sieht ein Sieg aus.«
Varl fuhr den Laster in die
Verladebucht der Krankenanstalt 67/mv. »Bleiben Sie hier«, sagte Corbec beim
Aussteigen zu ihm.
»Sie können mich begleiten,
wenn Sie wollen«, sagte er zu mir, als sei es ihm eben nachträglich
eingefallen, und marschierte dann in Richtung Vordertreppe des ramponierten
Gebäudes. Ich lief ihm hinterher, um nicht zurückzubleiben. Praktisch sofort
waren wir von Kindern umgeben. Straßenkinder aus den Habs, Flüchtlinge, alle vollkommen
verdreckt.
Ich wusste nicht, was ich tun
sollte. Corbec hatte schon vor Tagen seine letzten Rationen Trockenproviant
verteilt. Die Kinder fielen förmlich über ihn her, zogen an seinen Händen,
zupften an seiner Kleidung und ignorierten seine wiederholt gemurmelten
Entschuldigungen.
Die Hupe des Lasters
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