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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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mal ein gutes Zehntel davon übriggeblieben. Aus jener Zeit zu Beginn des 17. Jahrhunderts stammen die sieben Keltern, durchaus eine Rarität und eine touristische Sehenswürdigkeit. Nur: Deswegen kommt heute niemand mehr nach Metzingen. Die Codeworte des 20000-Seelen-Städtchen lauten heute Boss, Lacoste, Escada, Puma, Nike, Joop, Reusch, Hilfiger und andere Markenlabels, die allesamt aufzuzählen keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringt. Angeblich liegt Metzingen bereits an vierter Stelle der attraktivsten Orte für asiatische Touristen in Deutschland und hat damit die Hauptstadt an der Spree hinter sich gelassen. Wenn Chinesen aus Peking oder Shanghai in München landen, sitzen sie meist kurz darauf in einem Charterbus, um nach »Bosstown« zu kommen – je schneller, desto besser.
    Soll der Schwabe darüber glücklich sein? Vielleicht der Metzinger. Inzwischen. Aber nur, weil eine Idee urplötzlich Geld in die Stadt brachte, wenn auch verbunden mit neuen Problemen. Die Stadt ist inzwischen nicht nur zweigeteilt, sie wird zum Wochenende geradezu überschwemmt von Schnäppchenjägern. Wurden früher nur fehlerhafte oder modisch ausgemusterte Boss-Textilien wohlfeil angeboten, so sind die »Outlets« heute ein nicht mehr wegzudenkender Vertriebsweg vieler Firmen. Metzingen sei Dank!
    Auch wenn es einem schwer über die Lippen gehen mag: Metzingen ist ein typisches Produkt der Globalisierung. Alle modischen Markenartikel, die in der einst verschlafenen Weinbaugemeinde günstig angeboten werden, haben ihren Siegeszug um die Welt bereits hinter sich. Gefertigt werden diese Produkte nicht in Metzingen, auch Boss hat den Großteil seiner Produktion längst in Niedriglohnecken der Europäischen Gemeinschaft oder noch weiter weg verlagert. Aber Boss hat sie alle angezogen – im doppelten Wortsinn: die Kunden aus der ganzen Welt und die sich zugehörig fühlenden verwandten Marken. Man kann es auch anders formulieren: Metzingen hat sich die globalisierte Kaufkraft heimgeholt.
    Noch wirkt sich die Geldschwemme nicht wirklich positiv aus. Selbst die Gastronomie spürt kaum etwas von den Parallelkonjunkturen jenseits des Markenbooms. Der betuchte Auswärtige – ob Chinese oder Stuttgarter – kommt, kauft und fährt wieder heim, bestenfalls noch nach München. Insofern spiegelt Metzingen nicht nur die komparativen Kostenvorteile der internationalen Arbeitsteilung wider, sondern bildet auch den Flucht- und Ausgangspunkt einer mobilen Kundschaft. Bodenständigkeit ist jedenfalls nicht gefragt und wird auch nicht nachgefragt.
Bietigheim-Bissingen zum Beispiel
    Doch überall dort, wo Globalisierungsgewinner im Schwäbischen expandieren und mehr oder weniger ordentlich Steuern zahlen, treffen die Urtugenden der Einheimischen auf einen unbändigen Willen, am weltweiten Verteilungskampf teilzuhaben. Ob es nun das westlich von Stuttgart gelegene Ditzingen ist, in dem der weltbekannte Maschinenbauer Trumpf seine Heimat hat, oder Künzelsau mit seinem Schrauben-Würth, oder – ganz spektakulär – das badische Walldorf, dem Sitz des der Globalisierung am weitesten gefolgten Softwarespezialisten SAP – sie alle wurden, wie auch Waiblingen mit Stihl oder Winnenden mit Kärcher, durch die Tatkraft und den Erfindungsreichtum ihrer Unternehmer und deren Mitarbeiter weltbekannt. Gleiches gilt für den Stuttgarter Stadtbezirk Zuffenhausen, in dem der Sportwagenbauer Porsche sitzt und produziert. Oder etwa Bietigheim-Bissingen, wo Porsche allein sechs Tochterfirmen ansiedelte. Natürlich steht Stuttgart zunächst für DaimlerChrysler oder Bosch, schon wegen deren gewaltigem Beschäftigungspotential. Aber während in den siebziger Jahren die Mercedes-Stadt Sindelfingen dank des damaligen Gewerbesteuerregens ganz unschwäbisch-protzig Marmor-Zebrastreifen anlegte, zeichnen sich die neureichen Kommunen von heute durch hohe Solidität aus. So haben Walldorf, Künzelsau oder Bietigheim-Bissingen keine oder so gut wie keine Schulden. Sie ordnen ihre Finanzen, vermitteln ihren schwäbischen und zugereisten Einwohnern ein wieder in Mode gekommenes Kuschelgefühl – und erreichen damit höchste Aufmerksamkeit über die Landesgrenzen hinaus. »Beverly Bietigheim« titelte beispielsweise das Nachrichtenmagazin »Focus« vor einigen Jahren, als es nicht mehr umhin kam, seinen Lesern die 42000-Seelen-Stadt am »Rande des Stuttgarter Speckgürtels« vorzustellen. Das Erfolgsgeheimnis dieser nahe Ludwigsburg am Enzufer gelegenen Stadt liege »im

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