Gebrauchsanweisung für Schwaben
unaufdringlichen Charme ihrer Lebensart«. Sie sei vom Größenwahn so weit entfernt, wie ihr Zweitliga-Eishockey-Team vom Gewinn der deutschen Meisterschaft.
In Bietigheim war Lothar Späth in den sechziger Jahren Bürgermeister, bevor es ihn in die Landespolitik zog. Heute hat hier Bundesbildungsministerin Annette Schavan ihren Wahlkreis, in Bietigheims mittelalterlichen Mauern lebt Pur-Sänger Hartmut Engler genauso wie Hemden-Fabrikant Eberhard Bezner (»Olymp«). Porsche-Chef Wendelin Wiedeking fährt von Bietigheim-Bissingen in zwanzig Minuten zu seinem Arbeitsplatz nach Zuffenhausen, und sein Finanzchef Holger P. Härter folgt seinen Spuren. Da überrascht es wenig, daß Porsche auch der Hauptsponsor des Eishockey-Zweitligisten »Steelers« ist. Dessen Verwaltungsratspräsident Norbert Lehmann, ein ehemaliger Manager von IBM und Exvorstand des Bietigheimer Bodenbelagherstellers DLW, hat die Budapester Edel-Schuhmanufaktur Heinrich Dinkelacker vor dem »Aus« gerettet und den Firmensitz nach Bietigheim verlagert. Fast überflüssig zu sagen, daß auch Wendelin Wiedeking als Gesellschafter mit von der Partie ist. Im übrigen aber steckt und erntet er auf seinem Bietigheimer Acker Kartoffeln und fährt die Knollen mit seinem historischen Porsche-Traktor nach Hause.
Kein Wunder, daß in dieser Stadt Legenden entstehen. Zum Beispiel: Die wichtigsten Entscheidungen träfen die Porsche-Strategen nicht im Zuffenhauser Hauptquartier, sondern bei Burkhard Schork und dessen am Marktplatz gelegener Edelkneipe Friedrich von Schiller. Ja wo denn sonst, wenn nicht unter dem Dach eines nach dem schwäbischen Dichterfürsten benannten Lokals?
Was im 19. und bis Mitte des 20. Jahrhunderts also Heidelberg und Tübingen, Pfalzgrafenweiler und Todtnau, Reutlingen (bis in die sechziger Jahre die Stadt der Millionäre) und Heidenheim, Sindelfingen und Friedrichshafen waren, sind heute Metzingen und Bietigheim-Bissingen, Schorndorf und Künzelsau, Zuffenhausen und Ditzingen. Nicht, daß die früheren Vorzeigestädte ihren Reiz verloren hätten – Heidelberg ist noch immer für jeden Amerikaner das Mekka seines Deutschlandbesuches. Nein, die veränderte Weltlage hat andere Namen nach oben gespült, und nicht nur die wenigen genannten, weil sich über den ganzen württembergischen Landstrich hinweg neue Ideen breitgemacht haben und auf Fleiß und Entschlossenheit gestoßen sind.
Ein gutgepflegtes Vorurteil? Mag sein. Aber der Schwabe liebt solche Vorurteile. Er kokettiert nun einmal gerne mit den sinnstiftenden Attributen des Schaffens und Sparens. Unterstellt man ihm, daß er nur schaffe und spare, um sich ein Häusle zu bauen, dann begreift er sogar diese Unterstellung als indirekte Anerkennung.
Die Mär vom Häusleswahn
So richtig wahr ist das aber nicht. Nur 47 Prozent der Gebäude aus der Zeit vor 1870 waren in Württemberg Ein- oder Zweifamilienhäuser, der Rest bestand aus Bürgervillen oder Bauernhäusern. Zwischen 1870 und 1918 ging der Häuslesanteil auf 38 Prozent zurück, weil zunehmend Mietwohnungsblocks für die Arbeiter der aufstrebenden Industrie gebaut wurden.
Selbst bis in die jüngste Zeit hinein, als der Eigenheimbau staatlich gefördert wurde, fällt Baden-Württemberg nicht aus dem Rahmen des üblichen. Sowohl das Verhältnis von Haushalten und Häusle wie auch das von Häusle und Mehrfamiliengebäuden liegen im Bundesdurchschnitt. In Bayern oder in Niedersachsen beispielsweise werden weitaus mehr Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut als in Baden-Württemberg.
Der zentrale Unterschied zu den anderen Bundesländern liegt an anderer Stelle. Jeder fünfte Bausparvertrag in Deutschland wird im Schwäbischen und Badischen unterschrieben. Damit hat das »Ländle« die höchste Bauspardichte bundesweit. Da jedoch der überdurchschnittlichen Bausparsumme keine überdurchschnittliche Bautätigkeit gegenübersteht, reduziert sich das Klischee vom Schwaben als Vorzeige-Häuslesbauer auf das Thema der Finanzierung. Nirgendwo sonst wird, wie in Baden-Württemberg, mit Bausparverträgen gebaut. Man baut also risikoärmer, vorsichtiger. So sind die Schwaben seit jeher, so haben sie sich seit Jahrhunderten verhalten.
Noch nicht einmal die Idee des Bausparens hat schwäbische Väter. Die urschwäbische Einrichtung »Gemeinschaft der Freunde Wüstenrot« wurde von Georg Kropp in den zwanziger Jahren gegründet – dem Sohn eines Segelschiffkapitäns aus Pommern. Sein Erfolg brauchte allerdings schwäbischen Nährboden,
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