Gefaehrlich begabt
ein Salzkreuz um den Hals, in deinem Zimmer ist es ständig eiskalt und nachts schreist du das Haus zusammen.«
»Was willst du?«
»Ich will, dass du nett zu mir bist und in den Wagen steigst. Wir müssen reden.«
»Woher weißt du über die Dinge Bescheid?«
»Ich erzähle es dir unterwegs. Also?« Herausfordernd blickte Sally sie an.
Anna verdrehte die Augen und stieg in das Cabriolet, ein Geschenk von meinem Vater. Sie hatte mit allem gerechnet, aber damit? Sally wusste Bescheid über die magische Welt. Wie war das denn möglich? Eine naive Barbiepuppe ohne blassen Schimmer? Zunächst fuhren sie schweigsam Richtung Innenstadt.
»Du willst wissen, woher ich Bescheid weiß?«
Anna nickte.
»Meine Großmutter hatte eine Gabe.«
Ihr stockte der Atem. Sallys Grandma war eine von ihnen?
»Sie war eine Seherin. Ich habe sie nie kennengelernt, sie starb sehr früh.«
»Wie konntest du dann erkennen, dass ich ein Medium bin?«
»Meine Mutter hat viel darüber gesprochen. Damals, als sie noch bei Verstand war. Meine Oma lernte sie an, sie hatte sie als Erbin eingesetzt.«
»Also besitzt deine Mutter jetzt die Gabe.«
Traurig schüttelte Sally den Kopf. Zum ersten Mal wirkte sie nicht affektiert. »Nein. Zu der Zeit war es gefährlich, ein Talent zu besitzen. Es waren schlimme Jahre. Erbschleicher marschierten durch die Länder und töteten die Begabten. Niemand war vor ihnen sicher. Eine mächtige Magierfamilie schlich sich in das Vertrauen der Talentierten und mordete, sobald das Testament auf sie überschrieben war. Meine Großmutter bekam Angst, sie wollte ihre Tochter schützen. Also beschloss sie, ihr Testament zu ändern.«
»Wer hat die Gabe bekommen?«
»Sie vermachte ihr Talent ihrem besten Freund Jonathan. Aber Jonathan war nicht der, der er zu sein vorgab. Er war ein Magier und tötete meine Oma, gleich nachdem sie ihren Finger auf das Pergament gedrückt hatte.«
»Wieso erzählst du mir das?« Sallys Geschichte erweckte ihr Mitleid, und wenn sie eins nicht wollte, dann Mitgefühl für Sally.
Es entstand eine Pause. Die Ampel sprang auf Rot und Anna beobachtete die Menschen, die über die Straße eilten. Ganze Trauben machten sich auf den Weg in die Fußgängerzone, um die warmen Tage des Spätsommers auszunutzen und vielleicht ein Eis zu naschen.
»Weil sie dich hat kommen sehen, Anna. Bevor meine Großmutter starb, sprach sie eine Prophezeiung.«
»Eine Prophezeiung? Über mich?« Anna glaubte, sich verhört zu haben. Sally hatte eindeutig einen an der Waffel.
Aber die Blondine nickte.
»Des Arztes Tochter, jung und rein, wird siegen über Angst und Schein. Anna mit dem blonden Haar, beschwört die Geister, macht sich rar. Die Kraft der Gabe, so steht es geschrieben, wird in der Nekromantie liegen.«
Anna schüttelte sich. Die Worte hatten ihr einen Schauder über den Rücken gejagt. Wieso musste das Leben eigentlich immer noch einen draufsetzen? »Was soll das bedeuten?«
»Die Magier wurden damals gefangen genommen, der Beirat machte sie dingfest. Aber das kann noch nicht das Ende der Geschichte sein. Meine Großmutter war sich sicher, dass du dazu berufen bist, sie zu töten.«
»Ich? Du verwechselst mich. Unmöglich kann ich gemeint sein. Ich beherrsche das Talent nicht, und außerdem, Nekromantie …? Was soll das sein?«
»Es gibt ein Gerücht über verschollene Pergamente.«
»Sally, das klingt alles nach einer Verschwörungstheorie. Gerüchte und Prophezeiungen …«
»Ich habe recherchiert. Mein ganzes Leben verbringe ich schon damit, die Geschichte zu erforschen. Ich weiß, du kannst mich nicht ausstehen. Ich hätte auch lieber eine nette Weltretterin vorgefunden, anstatt dich. Aber es ist, wie es ist. Ich habe mich nicht mit Absicht in deinen Vater verliebt. Es geschah, als ich nach dir suchte. Aber mein eigentliches Ziel habe ich nicht aus den Augen verloren. Ich wusste nur nicht, wie ich anfangen sollte, dir verbohrter Ziege das alles zu erklären. Zumal du die Gabe noch nicht hattest.«
Eine Welle aus Wut raste durch ihren Körper.
»Anna, das Ziel! Unsere Disharmonie tut hier nichts zur Sache. Es muss ein Fünkchen Wahrheit an all dem sein. Meine Großmutter wurde ermordet, meine Mutter ist wegen der Suche bereits in einer Nervenheilanstalt gelandet und ich bin auch besessen von diesem Gedanken. Es kann nicht alles umsonst gewesen sein, mein ganzes Leben …«
Plötzlich tat Sally ihr leid. Sie schaffte es nicht, sich länger gegen das Gefühl zu sträuben. Ein
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