Gefährliche Intrigen
Körper. Die hervorgetretenen Augen und die verkrampfte Körperhaltung waren ein deutliches Zeichen für einen langsamen und qualvollen Tod. Zitternd streckte sie die Hand aus und berührte die Schulter ihrer Herrin.
»Oh, bitte! Wacht auf!«
Ihre Stimme war nur ein leises Flüstern der Angst.
Emma rieb sich verschlafen die Augen, doch als sie den entsetzten Ausdruck im Gesicht ihrer Zofe sah, war sie sofort hellwach. Nur einen Augenblick später hatte sie die ganze schreckliche Szene erfasst: Die arme Bonny lag tot in einer Lache Milch, die sich aus der umgestoßenen Tasse auf den Boden ergossen hatte. Das Maul der kleinen Hündin war weit aufgerissen, und weißer Schaum klebte in ihrem Fell. Der Körper war durch den Todeskampf unnatürlich verdreht. Als Liz sicher war, dass ihrer Herrin nichts passiert war, überließ sie sich dem Trost der Älteren und warf sich schluchzend in Emmas Arme. Liz weinte bitterlich und konnte vor Erleichterung kaum atmen. Schließlich schob Emma sie sanft von sich und untersuchte mit spitzen Fingern die Tasse. Gift! Die Milch war verschüttet. Bestimmt war der Hund aufgewacht, hatte neugierig herumgeschnüffelt und dabei die Tasse umgestoßen. Dann musste er das todbringende Getränk aufgeleckt haben und war qualvoll verendet. Wie hatte das alles passieren können, während sie nur einen Meter entfernt in ihrem Bett geschlafen hatte?
Als Liz sah, wie Emma an die Tasse roch, schrie sie auf, holte aus und schlug ihr mit aller Kraft das Porzellan aus der Hand. Die Tasse zersplitterte auf dem Holzboden und Scherben und Milch vermischten sich zu einem heillosen Durcheinander.
»Du liebe Güte! Was soll denn das?«, fragte Emma.
»Wollt Ihr Euch umbringen? Ihr solltet die Tasse mit dem Gift noch nicht einmal berühren!«
Liz war nun nicht mehr zu bremsen.
»Mir reicht es jetzt! Ich werde nicht mehr länger zusehen, wie man versucht, Euch umzubringen! Wir hauen ab!«
Einen weiten Bogen um den Hund schlagend, kramte sie unter dem Bett die versteckten Sachen hervor.
»Und solltet Ihr Euch weigern, Mylady, dann gehe ich eben allein! Ich lasse nicht zu, dass uns jemand etwas antut!«
Wütend baute sich das zierliche Mädchen vor Emma auf.
»Was glaubt Ihr werden die Herrschaften tun, wenn sie bemerken, dass nicht Ihr, sondern der arme Köter hier tot auf dem Boden liegt? Ich sage Euch eines, Ihr zieht Euch jetzt diese Klamotten an …«, schwungvoll warf sie Emma eine Hose, eines der braunen Hemden und den Hut zu, »… und ich packe derweil alles, was wir brauchen, in diesen Beutel. Dann warten wir, bis im Haus alle schlafen, und schleichen uns dann durch die Küche hinaus. Bis ins Dorf ist es nicht weit.«
Emma, die über den mangelnden Respekt ihrer Zofe nicht im geringsten entsetzt war, tat genau, was Liz ihr sagte. Sie wusste ja, wie gewitzt das Mädchen war. Außerdem schweißte die Angst die beiden jungen Frauen zusammen. Erst als Emma sich bewusst wurde, was sie im Begriff waren zu tun, begannen ihre Finger zu zittern, und sie war zu ungeschickt, die Knöpfe zu schließen. Liz hatte sich bereits in einen kleinen Gassenjungen verwandelt. Die Wollkappe tief in die Stirn gezogen, war sie mit den hochgekrempelten Hosenbeinen kaum wiederzuerkennen. Ungeduldig kam sie ihrer Herrin zu Hilfe und betrachtete anschließend etwas zweifelhaft das Resultat.
»Ihr könnt Euch verkleiden, wie Ihr wollt. Eure zarte Haut und die Art, wie Ihr hier vor mir steht, machen alles zunichte! Ich weiß was!«
Liz ging zur Feuerstelle und zerrieb etwas Asche zwischen ihren Handflächen. Damit ging sie leicht über Emmas Stirn und ihre Wangenknochen. Auch Emmas Hände wurden damit beschmiert. Zufrieden mit dem Ergebnis, nickte Liz.
»Schon viel besser!«
Emma packte noch einige Kleidungsstücke in den Beutel und auch ihre magere Geldbörse. Die Pistole ihres Vaters steckte sie sich wie ein Pirat in den Hosenbund. Nun, da alle Vorbereitungen getroffen waren, lehnten sie sich schweigend nebeneinander mit dem Rücken an die Tür. Keine von beiden wollte noch einen Blick auf die tote Bonny werfen oder daran denken, wem das Gift eigentlich gegolten hatte. So hielten sie sich an den Händen und warteten, bis die Geräusche im Haus langsam verstummten.
Der Mond stand schon voll und hoch am Himmel, als sie schließlich auf Zehenspitzen aus dem Haus schlichen. Liz ging voran, denn sie kannte sich in den Dienstbotenräumen besser aus. Wie erhofft, war die Hintertür zur Küche unverschlossen, und so
Weitere Kostenlose Bücher