Gefaehrliche Ueberraschung
aber gehört, wie ihn jemand Alvin nannte.«
»Was du so alles hörst«, entfuhr es der Mutter, als sie mit ihren Kindern die Rolltreppe betrat.
Ziemlich altklug, dachte Alvirah amüsiert. Doch dann erinnerte sie sich an zwei kleine Jungen, die in New Jersey darauf warteten, dass ihr Mutter endlich zu ihnen nach Hause kam.
Hinter den vier fuhr Alvirah ins Untergeschoss, und ihr Blick fiel auf zahllose Schilder mit der Aufschrift »Sonderangebote«.
Hatte oben schon furchtbares Gedränge geherrscht, so war hier buchstäblich die Hölle los! Überall auf den Tischen stapelten sich Christbaumkugeln, Kerzen, Kunstschnee in Spraydosen, Geschenkpapier, Engelshaar und Lametta. Der Rahmen muss von hier stammen, entschied Alvirah, als sie sich einem Tisch mit einem wahren Sammelsurium billiger Weihnachtsartikel gegenübersah.
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In ihren Schnäppchenjagdjahren hatte Alvirah gelernt, ihren Körper dicht an Verkaufstheken vorbeizuschieben, ohne die anderen Käufer gegen sich aufzubringen. Diese Fähigkeit zahlte sich heute für sie aus.
Innerhalb von Sekunden hatte sie einen Stapel von Bilderrahmen erspäht. Gleich darauf entdeckte sie einen, der auf den ersten Blick Noras Rahmen verblüffend ähnlich sah.
Aufgeregt langte sie an anderen Kaufwilligen vorbei, schnappte sich den Rahmen und zog ihre Brille aus der Tasche.
»Küss mich unterm Tannenbaum«, stand in Kursivschrift auf bronzierter Pappe.
»Küss dich doch selbst!«, murrte Alvirah und legte den Rahmen mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch zurück. Aber als sie den nächsten Rahmen zur Hand nahm, erhellte sich ihre Miene. »Weihnachten bin ich zu Hause – wenn auch nur im Traum«. Na bitte!
Alvirah gelang es, den Kassierer auf sich aufmerksam zu machen, einen gut aussehenden jungen Mann von höchstens acht-zehn Jahren.
»So einen nehme ich.« Sie wedelte ihm mit dem Objekt ihrer Begierde zu.
»Lassen Sie mich sehen.« Er nahm ihr den Rahmen aus der Hand. »Oh, davon haben wir noch jede Menge.« Er legte das Muster wieder auf den Tisch und öffnete einen Karton. »Exklu-siv für Long’s hergestellt«, stand darauf.
Hervorragend, dachte Alvirah. Damit wäre eine Frage beantwortet.
»Es überrascht mich, dass davon noch so viele da sind«, bemerkte Alvirah.
Der junge Mann zuckte mit den Schultern. »Die anderen gingen weg wie warme Semmeln. Aber der hier nicht.«
»Vielleicht haben Sie ihn noch nicht lange genug im Ange-112
bot«, mutmaßte Alvirah.
»Im Gegenteil. Sie liegen schon seit Wochen hier rum.« Er ging ihr voran zur Kasse.
Alvirah kam sich vor wie bei der Suche nach einer Nadel im Heuhaufen. »Vielleicht können Sie mir helfen«, sagte sie schnell, weil sie merkte, dass die Frau hinter ihr ungeduldig wurde. »Jemand hat einen Rahmen wie diesen für meine Freundin im Krankenhaus abgegeben, aber die beiliegende Karte nicht unterschrieben. Jetzt ist es ihr sehr unangenehm, nicht zu wissen, bei wem sie sich bedanken soll. Sie können sich nicht zufällig erinnern, wer einen solchen Rahmen gekauft hat, oder?«
»Soll das ein Scherz sein, Lady. Ist Ihnen nicht klar, welcher Andrang hier seit Thanksgiving herrscht? In zwei Minuten erinnere ich mich nicht einmal mehr an Sie.«
»Ich werde Ihnen einen dieser Rahmen mit meinem Foto schicken«, entgegnete Alvirah.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich eine aus dem Nichts aufgetauchte Aufsicht besorgt.
»Ich habe mich nur kurz mit diesem netten, jungen Mann un-terhalten«, erklärte Alvirah honigsüß. »Er war sehr höflich und zuvorkommend.«
»Nun, ich hoffe, Sie sind auch weiterhin mit Long’s zufrieden!«, flötete die Frau und eilte davon, um anderswo aufkom-mende Probleme zu beseitigen.
»Ich helfe hier nur aus«, sagte der junge Mann, eindeutig dankbar dafür, dass Alvirah sich nicht über ihn beschwert hatte.
»Die eigentliche Kassiererin hat heute frei. Morgen ist sie wieder da. Weil es der letzte Tag vor Weihnachten ist, öffnen wir schon um neun.«
»Wissen Sie, wie sie heißt?«
»Darlene.«
»Hat sie auch einen Nachnamen?«
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»Krinsky. Darlene Krinsky.«
»Und gestern hat sie gearbeitet?«
»Den ganzen Tag.«
»Vielen Dank«, sagte Alvirah. Sie würde Jack Reilly mitteilen, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Mehr konnte sie im Moment nicht tun.
Im Weggehen hörte sie die Bemerkung der Frau hinter ihr.
»Danken Sie Ihrem Schöpfer, diesen weiblichen Sherlock Hol-mes los zu sein.«
ls der Zeitpunkt der Geldübergabe näher rückte, nahm Adie Anspannung
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