Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)

Titel: Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
ich war gerade zufällig da, weil ich etwas holen musste. Tante Sieglinde sagt, die Oma ruft die ganze Zeit nach dir!«
    Ralf Meerkötter hatte bereits den Kopf durch die Tür gestreckt. »Ach, Frau Wolf, Sie Arme!«, sagte er bedauernd. »Fahren Sie ruhig, fahren Sie zu Ihrer Mutter, ich gebe Ihnen drei Tage frei.«
    Wieder rief ich meine Freundin Gitta an, um sie um ihr Auto zu bitten. Sie bot mir sofort an, mich zu Sieglinde nach Heidelsheim zu fahren und mir beizustehen, damit ich mich in Ruhe von meiner Mutter verabschieden konnte. Eine wundervolle Freundin!
    Bernd stand mit gesenktem Kopf da und starrte auf seinen Motorradhelm. »Dann wünsch ich dir eine gute Reise, Mama. Und sag Gitta liebe Grüße!« Seine Stimme zitterte.
    Behutsam strich ich ihm über die bärtige Wange, wozu ich mich auf die Zehenspitzen stellen musste. »Und, geht’s dir gut, mein Junge?«
    »Na ja … «, druckste er herum und schaute auf den Fußboden. »Ich war eigentlich nicht zufällig in der Wohnung, weil ich etwas holen wollte.«
    »Sondern?« Geistesabwesend hielt ich nach Gitta Ausschau. Das Lotto-Geschäft war nicht weit von hier. Ich zwang mich, meinen Jungen anzusehen. »Was ist, Bernd?«
    Bernd hob den Kopf und sah mich an. »Ich wollte eigentlich wieder einziehen.«
    Mir blieb die Luft weg. »Was? Aber wieso denn das?«
    »Ja. Und Thomas auch.«
    Aha. In meinem Innern tat sich nichts. Mein Herz machte keinen Freudensprung, kein Triumphgefühl wollte sich einstellen.
    »Ist es denn bei Papa und der Witwe nicht schön?«
    »Es ist die Hölle, Mama! Der Papa sitzt nur rum, säuft und schreit die Witwe an. Er macht seine krummen Geschäfte, die Motorräder sind Schrott, und über die Alpen ist er mit mir auch nicht gefahren. Claudia Meyer hat mir geschrieben, dass sie mich an meinem Geburtstag treffen wollte, aber der Papa hat gesagt, ich soll die Schlampe nicht wiedersehen!« An dieser Stelle kamen ihm die Tränen. »Der Papa ist so ein Arschloch … «
    Da sagte er mir nichts Neues. Ich fühlte mich plötzlich unsäglich alt. Draußen hupte Gittas gelber Kleinwagen. Vor dem Laden war Halteverbot.
    »Bernd, Liebling, ich muss jetzt gehen«, sagte ich.
    »Ist klar, Mama. Ist jetzt wohl kein so guter Zeitpunkt … «
    Ich suchte in meiner Handtasche. »Hier sind fünfzig Mark. Die Wohnungsschlüssel hast du ja noch.«
    »Es ist also okay, wenn Thomas und ich … ?«
    »Natürlich.«
    »Und du bist uns auch gar nicht böse?«
    Ich sah Sieglinde vor mir, wie sie damals von den Eltern verjagt worden war. Mein Blick erfasste wieder Bernds zerknirschtes Jungengesicht. »Macht euch was Leckeres zu essen«, sagte ich. »Pizza ist in der Tiefkühltruhe.«
    Es war kurz nach neun Uhr abends, als Gitta und ich endlich bei der Dorfbäckerei in Heidelsheim vorfuhren. Meine Schwester Sieglinde riss die Tür auf. Sie sah gefühlte hundert Jahre älter aus als ich, und ihr Gesicht war rot verweint.
    »Oh, Sieglinde, sag, wo ist sie … ?«
    Ich rannte ihr sofort entgegen, während Gitta am Auto wartete.
    »Ihr seid leider drei Stunden zu spät.« Sieglinde breitete die Arme aus, und ich ließ mich hineinsinken. »Sie hat es hinter sich.«
    »O Gott!«, schrie ich. »Mama! Ich wollte mich doch noch von dir verabschieden!«
    Heftig schluchzend gingen wir ungleichen Schwestern eng umschlungen ins Haus. Gitta folgte uns dezent. Die vier fast erwachsenen Kinder kamen aus ihren Zimmern und begrüßten uns schüchtern. Eine Tochter hatte ein Baby auf dem Arm. Automatisch streckte ich die Hände danach aus und liebkoste es. Es war ein Mädchen. Plötzlich dachte ich wieder daran, wie ich Sieglindes kleines Mädchen damals an mich gedrückt hatte. Wie hatte meine Mutter damals ihr Herz nur so verschließen können? Nun schlug es nicht mehr, dieses verhärtete Herz. Nun war es kälter denn je.
    Zögernd näherte ich mich dem Totenbett.
    Meine Mutter lag bleich und wächsern in einem abgedunkelten Zimmer. Ihr Gesicht hatte friedliche Züge angenommen. Ich nahm ihre Hand, aber sie war nur noch eine leere Hülle.
    Mit einem Mal wurde mir bewusst, dass ihr Leben ein einziger Kampf gewesen war. Sie hatte nie die Chance gehabt, glücklich zu sein. Von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod hatte sie sich tapfer durchs Leben gequält. Das Ende war dann der furchtbare Krebs gewesen, der sie ein Jahr lang von innen aufgefressen hatte. Und dennoch – oder gerade deswegen – wirkte sie erlöst. Befreit.
    »Oh, Mutter«, schluchzte ich verzweifelt. »Jetzt habe ich dich

Weitere Kostenlose Bücher