Gefangen in Afrika: Roman nach einer wahren Geschichte (German Edition)
in deiner letzten Stunde im Stich gelassen!«
»Ja, sie hat seit drei Tagen nach dir gerufen«, sagte Sieglinde. »Aber wir haben uns noch ausgesprochen, Mutter und ich. Sie hat mir noch versichert, wie unendlich leid es ihr getan hat, dass wir eine so schlimme Kindheit hatten. Dass sie uns keine Wärme und Liebe geben konnte, weil sie selbst nie welche erfahren hat.«
»Hauptsache, sie konnte in deinen Armen einschlafen«, sagte ich schließlich und drückte Sieglinde dankbar den Arm. »Sie war nicht allein in der Stunde ihres Todes.«
»Nein, das war sie nicht … « Sieglinde schnäuzte sich heftig, schob uns in die Küche und servierte uns Tee und Kuchen. »So nehmt doch, greift doch zu!« Auffordernd schob sie uns den Kuchen hin.
Sie war eben eine richtige Bäckerin. Ich selbst wollte natürlich nichts essen, nur rauchen. Ich lächelte sie warmherzig an. Mir hatte meine Mutter schon vor Jahren gesagt, dass es ihr leidtat, damals an Weihnachten in unserem schönen Reutlinger Haus in der Badewanne, und ich war schon lange mit ihr versöhnt. Es war gut, dass Sieglinde und sie auch noch zueinandergefunden hatten.
Wir halfen Sieglinde bei den Formalitäten für die Beerdigung und im Laden, so gut wir konnten, bis wir uns endgültig von meiner Mutter verabschiedeten.
»Und sie wollte mich wirklich besuchen?«
»Ja, Bernd. Damals zu deinem achtzehnten Geburtstag. Aber du warst damals so wild entschlossen, zu deinem Vater zu ziehen und mit ihm über die Alpen zu fahren … «
»Warum hast du mich nicht daran gehindert?« Bernd stand in der Küche meiner Wohnung und zeigte mir einen weiteren Brief von Claudia.
»Mein Sohn, manchmal ist es besser, seine Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen zu lassen.« Ich wies mit dem Kopf auf den Brief. »Was steht denn drin?«
»Dass sie nach Amerika gehen will! Dort gibt es einen Typen, der sie heiraten will! Aber Mama, ich liebe sie doch!«
»Dann hol sie zurück!«
»Mama, meinst du echt?«
»Junge, worauf wartest du noch?« Ich zückte einen Hundertmarkschein. »Setz dich in den Zug, fahr nach Kiel und sag ihr, dass du sie liebst!«
»Mama. Ich will sie heiraten. Sie ist meine große Liebe.«
»Ich weiß.«
»Ich habe sie nie vergessen.«
»Sie dich auch nicht. Sie hat dir immer wieder geschrieben.«
Ich wandte den Kopf ab. Auch das war Leos Schuld. Bei unserer überstürzten Flucht damals hatten sich die Kinder nicht vernünftig verabschieden können. Als sie dann endlich volljährig waren und sich hätten sehen können, hatte Leo Bernd noch einmal mit leeren Versprechungen in seine Fänge gelockt.
Aber die Liebe dieser Kinder war stärker.
»Meinst du, sie will mich noch?«
»Ich weiß, dass sie dich will.« Lächelnd sah ich Bernd nach, der sich im Eilschritt davonmachte, um noch den Nachtzug nach Kiel zu erwischen.
Leo war inzwischen von der Witwe geschieden und hatte sie ausgesaugt, wie alle Menschen vor ihr. Er lebte von Hartz IV , hatte auf Kosten des Steuerzahlers bereits mehrere Entziehungskuren gemacht, verbrachte seine Tage aber dennoch trinkend vor dem Fernseher. Seine Eltern waren mittlerweile auch gestorben.
Ich schuftete in meinem Laden, der eine echte Goldgrube geworden war, und würde nun auch noch die Hochzeit für Bernd ausrichten. Das Geld dafür hatte ich. Ich war eine ungebrochene, stolze und selbstständige Frau.
Bernd und Claudia waren ein entzückendes Paar. Sie hielten sich genau so verliebt an den Händen wie damals in Afrika. Wie viele Tausende von Kilometern hatten jahrelang zwischen ihnen gelegen? Wie viel Leid war inzwischen passiert? Die Flucht, der schreckliche Unfall, finanzielle Katastrophen auf beiden Seiten: Auch die Meyers hatten nach ihrer Rückkehr nach Deutschland bei null anfangen müssen. Aber die Liebe der Kinder hatte gehalten.
Die Familie Meyer belegte die erste Kirchenbank. Ich saß daneben, eine halbe Portion, und doch unerschütterlich wie eine Säule.
Ich hatte es ganz allein geschafft. Aus meinen Jungs war etwas Anständiges geworden. Thomas wartete vorn am Altar als Trauzeuge. Groß und schlank und hübsch. Susi Meyer und ich wechselten einen Freundinnen-Blick voller Glück und Stolz. Wir nickten uns unmerklich zu.
Die Kirchentüre öffnete sich, und mit dem Brautpaar kam die strahlende Frühlingssonne herein. Man hörte die Amseln zwitschern und spürte den verheißungsvoll lauen Wind. Ich konnte mir die Rührungstränen kaum verkneifen, als Bernd und Claudia unter Orgelgebrause feierlich zum Altar
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