Gefangene der Dunkelheit
Armen geborgen. »Was ist mit Sean?«
Er atmete erneut ihren Duft ein und schloss die Augen. Gleichgültig wie sehr sie ihn liebte, wäre ihr Herz stets im Zwiespalt. Es gäbe immer ihren Bruder. »Du hast mich einmal gefragt, warum ich dich und deine Leute nicht in Ruhe lassen könnte«, sagte er. »Genau das beabsichtige ich nun.« Sie setzte sich auf und sah ihn erschüttert an, und er lächelte. »Ich werde dir die Aufgabe übertragen, als Lady an meiner statt dieses Schloss zu führen.« Er wickelte eine Locke ihres Haars um einen Finger. »Du wirst den Platz deines Vaters einnehmen und deine Leute beschützen, genau so, wie du es immer gewollt hast, während die mir gewährte königliche Gunst und meine Ritter deinen Anspruch schützen werden.« Sie öffnete den Mund zu einer Antwort, aber er schüttelte den Kopf. »Jedoch nicht Sean.« Er setzte sich ebenfalls auf und legte eine Hand sanft auf ihren Mund, um ihren Protest zu stoppen. »Verlang nicht von mir, ihm zu vergeben.« Er dachte erneut an seine Ritter, an den Ausdruck hilflosen Vorwurfs in ihren Augen, während sie ihn, ihren Herrn, beobachteten, als er ihnen beim Sterben zusah. »Ich liebe dich von ganzem Herzen, Siobhan. Aber das kann ich nicht.«
Sie verschränkte ihre Finger mit seinen und nahm seine Hand fort. »Ich weiß.« Sie drückte einen Kuss in seine Handfläche. Er konnte ihr vergeben, weil sie eine Frau war und weil er sie liebte. Er konnte vorgeben, dass sie sich verändert hatte oder nie seine Feindin gewesen war, und das ärgerte sie. Aber sie liebte ihn, wie er war, und sie verstand. »Aber was wäre, wenn er niemals zurückkäme?«
»Er wird zurückkommen«, antwortete er. »Das weißt du ebenso sicher wie ich. Er wird den richtigen Moment abwarten, aber er wird zurückkehren. Er wird versuchen, sein Schloss wieder einzunehmen.« Er berührte ihre Wange. »Und du, meine Liebste, wirst es zulassen.«
Nein, dachte sie, aber sie sagte es nicht, wohl wissend, dass sie es ihn niemals glauben machen konnte. Stattdessen lächelte sie durch einen frischen Tränenschleier hindurch. »Also soll ich trotz allem ein Köder sein.«
»Er muss bestraft werden, Siobhan …«
»Du meinst, getötet werden …«
»Ich hoffe nicht.« Sie sah zu ihm auf, und Anklage stand in ihren Augen. »Vielleicht doch«, räumte er ein. »Wahrscheinlich.« Sie schüttelte den Kopf und wandte den Blick ab, aber er sah ihre Tränen dennoch. Er verlangte zu viel von ihr, das wusste er. Aber er hatte keine Wahl. »Siobhan, wer ist der Baron von Callard?«, fragte er sanft und meinte: Wer ist er für dich?
»Woher soll ich das wissen?«, antwortete sie leichthin und zwang sich zu einem Lächeln. »Hast du ihn nicht mit hierhergebracht?« Aber sie konnte seinem Blick nicht begegnen, konnte ihn nicht mehr anlügen. »Er war Seans Verbündeter, Tristan«, antwortete sie. »Zumindest gab er vor, es zu sein.« Sie legte eine Hand an der Stelle auf seine Brust, wo sein Herzschlag hätte sein sollen. »Sean ist mein Bruder, Tristan.« Schließlich sah sie ihm in die Augen. »Aber du bist mein Ehemann.«
Als er ihr zum ersten Mal begegnet war, hatte er jedem ihrer Worte misstraut und keinen Zweifel daran, dass sie die geborene Lügnerin war. Aber jetzt hatte er, trotz seines besseren Urteilsvermögens, keine andere Wahl, als ihr zu glauben. Er küsste sie auf die Stirn und schloss die Augen. »Ich muss gehen«, sagte er schließlich und ließ die Angelegenheit damit auf sich beruhen. »Es dämmert schon fast.« Der Schmerz in ihren Augen ließ ihn lächeln, und er zog sie wieder an sich. »Ich kann nicht zulassen, dass du das Schloss verlässt. Nicht bis Sean gefangen ist.«
»Aber dann wirst du mir vertrauen.« Sie schlang die Arme um seine Taille und schluckte das Schluchzen hinunter, das in ihrer Kehle aufzusteigen drohte. »Wenn Sean tot ist, wirst du mich verlassen.«
»Hoffentlich nicht lange.« Er wandte ihr Gesicht zu sich um. »Wirst du wollen, dass ich zurückkehre?«
Der Schmerz in ihren Augen war auch ohne ihre Worte Beweis genug. »Wie kannst du mich das fragen?« Er küsste sie, und sie klammerte sich mit neuerlicher Leidenschaft an ihn.
Als er fort war, stellte sich Siobhan ans Fenster und beobachtete, wie die ersten Streifen der Dämmerung am Himmel aufzogen. Sie war müde, aber sie würde nicht schlafen. Sie musste irgendwie diesen Geheimgang finden, der aus dem Schloss herausführte. »Verzeih mir, Liebster«, flüsterte sie an die Schatten gewandt.
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