Gefangene des Engels - Pierce, M: Gefangene des Engels - The Darkangel Trilogy: The Darkangel (1), A Gathering of Gargoyles (2), The Pearl of the Soul of the World (3)
Augen der Frau hatten die Farbe dunkelgrauen Gesteins.
»Aber was macht sie so tief unter der Erde?«, fragte der Jüngere, Brandl.
»Das Werk der Hexe«, murmelte der Ältere und strich sich über den Bart. »Könnte das Werk der Hexe sein.«
»Sei still, Collum, du Narr!« Maruha drehte sich zu ihm um. »Keines der ihren könnte jemals hier herunterkommen. Wir haben Schutzmechanismen.«
»Dieses Mädchen hat es aber geschafft«, erwiderte der Bärtige. »Vielleicht sogar als Erste von vielen. Wir wissen seit geraumer Zeit, dass das Ende naht.«
»Genug«, zischte Maruha mit einem Seitenblick auf Brandl. »Du jagst dem Jungen noch Angst ein.«
Das blasse Mädchen beobachtete sie unverwandt, ihr Herz klopfte schmerzhaft gegen ihre Rippen. Ein solches Geschöpf hatte sie schon einmal zu Gesicht bekommen. Ein kleiner Mann mit steingrauen Augen. Die bruchstückhafte Erinnerung stach unbarmherzig zu, um sich dann jäh in Luft aufzulösen. Die Frau trat einen Schritt vor.
»Du, Oberländerin, wer bist du?«, rief sie.
Die Angesprochene wich zitternd zurück. Sie wollte antworten, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt. »Uh, uhn …«, stieß sie würgend hervor. Ein dünnes Wehklagen brach sich seine Bahn. Ihr Kopf pochte. Wimmernd hielt sie inne.
»Kann nicht sprechen«, hauchte der bärtige Collum. »Das Werk der Hexe.«
»Seht nur, wie dünn!«, sagte Brandl, der jetzt kühner wurde. Er zeigte auf das Mädchen und schlich näher zu Maruha. »Die Wangen sind ganz eingefallen.«
Collum schnaubte verächtlich. »Alle Oberländer sehen so aus: spindeldürr wie Spinnenbeine.«
»Unsinn!«, rief Maruha. »Sie ist erschöpft. Seht euch ihre Haare und das schmutzige Gesicht an!« Sie trat noch ein paar Schritt näher. »Mädchen, verstehst du mich?«
Die Oberländerin spannte die Muskeln an, war sprungbereit, aber konnte sich nicht vom Wasser lösen. Ein sonderbarer Schrei
entrang sich ihrer Kehle. Sie verstand, doch keine Erwiderung wollte ihr über die Lippen.
»Ja, aber seht euch ihr Gewand an!«, flüsterte Brandl, in dessen Stimme auf einmal Furcht mitschwang. »Feinster gelber Stoff, ohne einen einzigen Riss oder Fleck. Er schimmert geradezu. Wie Geistergarn.«
Seine Gefährten starrten erschrocken, und alle drei wichen zurück. Die Knie des blassen Mädchens gaben nach. Sie sank in sich zusammen und konnte keinen weiteren Schritt gehen. Collum riss seinen Pickel hoch und stürzte an Maruha und Brandl vorbei.
»Sie ist das Werk der Hexe, sag ich euch, und je schneller wir uns ihrer entledigen, desto besser.«
»Nein!«, kreischte Maruha und packte Collum am Arm. »Sie hat vom Fluss getrunken. Keine, die der Hexe dient, kann die Berührung von sauberem Wasser ertragen …«
Collum zögerte und ließ den Arm sinken. Er blickte zu Maruha.
»Ein Rätsel, das gesteh ich ein, und ihr Kommen mag wahrlich das Werk der Hexe sein«, beharrte Maruha. »Aber ich glaube nicht, dass sie das Werk der Hexe ist oder uns Leid zufügen möchte.«
Das Mädchen saß mit niedergeschlagenen Augen im Sand. Sie hatte nicht einmal mehr über genügend Kraft, den Kopf zu heben.
Langsam schob sich Brandl zu den anderen beiden. »Ihr klebt Blut im Haar«, flüsterte er. »Dort!«
»Siehst du?«, fauchte Maruha und stieß Collum leicht in die Rippen. »Deshalb kann sie nicht sprechen.« Unsanft entriss sie
ihm den Pickel und klemmte ihn in ihren eigenen Gürtel. Sie wandte sich von Collum ab und sprach mit weicher Stimme: »Hier, Mädchen. Du bist verletzt.« Während sie zu der Oberländerin schlich, fuhr sie gutmütig fort: »Wir sind Zwerge, mein Kind. Lass uns dir helfen.«
Das blasse Mädchen spürte, wie die kleine Frau das Haar genau hinter dem Ohr teilte, und zuckte gepeinigt zusammen. Kraftlos schlug sie ein einziges Mal gegen die plumpen, grobschlächtigen Hände. Ganz sanft kehrte die Berührung der Zwergin zurück.
»Hab keine Angst! Sei unbesorgt! Was ist das? Collum, Brandl, seht her! Da ist etwas, hinter ihrem Ohr.«
Alle drei drängten sich um das Mädchen. Sie sah nicht auf, sondern ließ den Blick auf dem Sand ruhen, dem warmen, köstlich duftenden Wasser, das nun außerhalb seiner Reichweite lag. Es verzehrte sich nach dem kühlen Nass.
»Bei Ravenna!«, rief der Jüngere, Brandl. »Eine silberne Nadel. «
»Und mit Blut besudelt.« Das war Maruha.
»Hexerei«, murmelte Collum.
»Ich mag nicht glauben …«, setzte Maruha an.
Das Mädchen spürte einen heiß glühenden Stich hinter dem Ohr und schrie
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