Gefürchtet
getan haben?«
»Mist!« Ihre Stiefel trampelten über die Planken. Sie beschleunigte das Tempo. »Dann sitzt sie entweder irgendwo in diesem Schrott, oder sie ist auf dem Boot. Du musst sie finden. Und lass sie bloß nicht wieder entwischen.« Ihre Stimme entfernte sich.
Shaun blieb ei nen Augenblick lang stehen und schaute sich um. Der Wind zerrte an seinen wirren Strähnen. Dann ging er in die Hocke und spähte unter den Pritschenwagen, erhob sich und betrachtete den an der Ölpumpe baumelnden Murphy. Er holte tief Luft. Der Anblick schien ihm echtes Vergnügen zu bereiten.
Auf der Straße näherte sich in der Ferne ein Auto. Ich legte den Kopf an das verwitterte Holz des Schuppens. Die Polizei. Oder Jesse. Irgendwer jedenfalls. Wenn ich mich ganz ruhig verhielt, würde Hilfe kommen.
Shaun legte den Stromschalter um, und Murphy fuhr nach unten. Als der leblose Körper auf Shauns Augenhöhe hing, zog er ihm den Revolver aus dem Gürtel.
Ich kroch ans andere Ende des Schuppens. Am Strand näherte sich rasch ein einzelnes Fahrzeug. Kein Einsatzlicht, keine Sirenen. Es schoss über die Kuppe und raste auf den Pier zu, wobei der Fahrer eine Handbremswendung hinlegte, ohne den Fuß vom Gas zu nehmen.
Jesse verstand sich auf dramatische Auftritte. In meiner Fahrschule hatten wir das nicht gelernt.
Shaun konnte ich nicht sehen, aber das Motorengeräusch konnte ihm unmöglich entgangen sein. Ich hatte nur eine Chance: zum Wagen rennen und hineinspringen, sobald Jesse nah genug war. Er würde rückwärts fahren müssen, bis wir außer Reichweite von Shauns Revolver waren. Ich versuchte, die Entfernung abzuschätzen.
Plötzlich hörte ich hinter mir ei nen erstickten Laut. Ich wirbelte herum. Murphys schlaffer Körper hob und senkte sich mit der Pumpe wie ein Jo-Jo. Er war eindeutig tot.
Wieder dieses merkwürdige Geräusch. Es kam vom Deck des Piers, in der Nähe des Pritschenwagens. Und dann entdeckte ich eine Bewegung, nicht mehr als ein Zucken.
PJ. Er lebte.
40. Kapitel
PJ zuckte erneut, würgte und ruderte mit den Armen. Ich konnte mein Glück kaum fassen, musste aber entsetzt feststellen, dass Shaun ihn ebenfalls gehört hatte. Während PJ noch versuchte, sich aufzusetzen, näherten sich bereits seine Schritte. Das große Finale. Körperlich war ich Shaun hoffnungslos unterlegen, und Flucht war ausgeschlossen. Also musste ich mein Spiel zu Ende bringen.
Ich stand auf und zählte bis drei, bevor ich hinter dem Schuppen auftauchte.
»Zu spät. Das Geld ist weg.«
Er fuhr herum und zielte mit dem Revolver auf mich. »Und du bist ein verlogenes Dreckstück. PJ ist gar nicht zu Hause. Er ist hier.«
»Du kannst die beiden wohl immer noch nicht unterscheiden. Das ist Jesse.«
Mein Mund war völlig ausgetrocknet, und ich hatte kaum noch Gefühl in den Lippen. Es war ein Wunder, dass ich überhaupt sprechen konnte. »Du hättest mir einfach folgen sollen, statt Sinsa abzuholen.«
PJ versuchte, sich in den Vierfüßlerstand hochzurappeln, aber seine Bewegungen waren unkoordiniert, und sei ne Hose rutschte. Die Scheinwerfer des Mustangs brausten heran. Ich baute mich in der Mitte des Piers auf, damit Jesse mich sehen konnte.
»Was ist hier passiert?«, wollte Shaun wissen.
»Die Sache ist schiefgelaufen.«
Mit einem misstrauischen Blick auf mich richtete er die Waffe auf PJ. »Was tut Jesse hier?«
»Er wollte das Geld für die Kanz lei zurückholen. Lass ihn liegen. Der stört uns nicht mehr.«
Die Waffe blieb auf PJ gerichtet.
»Shaun, du wirst doch keine Kugel auf einen Rechtsverdreher verschwenden wollen.«
Er deutete auf die Scheinwerfer, die sich mit rasanter Geschwindigkeit näherten. »Wer ist das?«
»Der Beweis.«
»Wofür?«
»Dass Sinsa dich betrogen hat.«
Ich ballte die Hände in den Jackentaschen zu Fäusten, damit er nicht bemerkte, wie ich zitterte. Sinsa war unten auf dem Landungssteg, aber lange würde sie da nicht bleiben.
»Sie will dir den Mord an Ricky anhängen. Und den großen Bonus will sie allein einstreichen.«
Die Scheinwerfer erhellten jetzt Shauns Gesicht. »Bonus? Welchen Bonus?«
»Sie will die Story an Hollywood verkaufen.«
»Du hast doch einen Knall«, sagte er.
Also gut, das klang noch etwas dürftig. »Sie hat den Mord an Ricky gefilmt, Shaun.«
»Hat sie nicht. Sie wollte das auf keinen Fall.«
Ich nahm den Faden auf. »Irrtum. Sie wollte nur nicht, dass du das Band bekommst. Sie wollte eine Ex klusivstory.«
Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.
Weitere Kostenlose Bücher