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Gefürchtet

Titel: Gefürchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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obwohl alle Tatsachen dagegen sprachen, gab sich Jesse die Schuld am Tod der beiden. Und diese Selbstvorwürfe zogen ihn hi nunter. Innerlich kämpfte er unter der Oberfläche eines dunklen Flusses gegen die Strömung an.
    Ich deutete auf die Querstraße. »Wir sind da.«
    Wir bogen um die Ecke. Die Leichenhalle gehörte zum Gebäudekomplex des County Sheriff’s Department und war in einem niedrigen, bewusst unauffälligen Bau untergebracht. Davor parkte Jesses schwarzer Mustang. Nikki lenkte in die Lücke daneben. Ich riss die Tür auf, während der Wagen noch rollte, und stürzte in die Eingangshalle.
    Drinnen marschierte Carl auf und ab. Wie immer war sein Äußeres makellos, sogar die Jeans hatten Bügelfalten. Aber das Gesicht hinter der runden Brille wirkte eingefallen.
    Bei meinem Anblick blieb er wie angewurzelt stehen. »Großer Gott!«
    »Wo ist Jesse?«
    Er deutete auf eine Tür. Ich stürmte hindurch, rannte einen Gang entlang, stieß eine weitere Tür auf und landete im Kühlraum. An der hinteren Wand reihte sich eine Kühlzelle an die andere. Eine davon stand offen. Eine Mitarbeiterin zog gerade die mit einem Tuch abgedeckte Leichenmulde heraus.
    Jesse sah ihr dabei zu. Da er im Rollstuhl saß, befand er sich genau auf Augenhöhe mit der Toten. Die Angestellte streckte die Hand aus, um das Tuch zurückzuschlagen.
    »Nicht«, rief ich.
    Die Frau fuhr herum. Auf ihrem runden Gesicht spiegelte sich empörte Überraschung. »Unbefugte haben hier kei nen Zutritt.«

    Jesse rührte sich nicht. Ich eilte auf die beiden zu.
    Prompt hob die Angestellte drohend die Hand. »Sie machen jetzt auf der Stelle kehrt und verschwinden hier!«
    Jesse saß völlig bewegungslos im Rollstuhl, die Finger um die Greifräder gekrallt. Die Mitarbeiterin trat vor, um mir den Weg zu der Toten zu versperren. Ich drängte mich an ihr vorbei.
    »Jess, ich bin’s.«
    Er ließ den Kopf sinken und bedeckte mit der Hand die Augen. Ich sank neben ihm auf die Knie und nahm ihn in die Arme. Er war so still wie eine Statue. Sein gan zer Körper war eiskalt und völlig verkrampft.
    »Atme«, sagte ich.
    Da vergrub er das Gesicht an meiner Schulter und schlang die Finger in mein Haar. Ich spürte seine Lippen auf meinem Hals, und als er endlich Luft holte, tat er es, ohne den Mund von meiner Haut zu lösen.
    »Hören Sie«, sagte die Angestellte etwas freundlicher.
    Jesse suchte meine Wange, meinen Mund. Er küsste mich zweimal, dreimal, strich mir über das Haar, hielt mein Gesicht vor das seine.
    »Dürfte ich fragen, wer Sie sind?«, fragte die Frau.
    Ich sah auf. Laut Namensschild hieß sie Aguilar. »Evan Delaney.«
    Verblüfft verzog sie das Gesicht und deutete mit dem Kopf auf den Körper unter dem Tuch. »Das hier ist Evan Delaney.«
    »Das wage ich zu bezweifeln.« Ich erhob mich. »Und ich wüsste gern, was hier los ist.«
    Jesse wandte der Leiche den Rücken zu, holte sein Handy heraus und tippte eine Nummer ein. Ms. Aguilar presste die Lippen zusammen.

    »Nicht hier, bitte.«
    »Das kann nicht warten.« Er sprach in das Mobiltelefon. »Ich bin’s. Einen Augenblick.«
    Damit reichte er mir das Gerät. Ich drückte es ans Ohr und meldete mich.
    »Ev? Herr im Himmel!«
    Die Stimme meines Bruders klang brüchig. Die schlechte Nachricht musste sich in Windeseile verbreitet haben.
    »Mit mir ist alles in Ord nung, Bri. Was ist mit Mom und Dad?«, fragte ich.
    »Nichts. Ich wollte sie erst anrufen, wenn wir Gewissheit haben. Wie können die sich derart täuschen? Evan, du hast ja keine Ahnung!«
    Im Hintergrund hörte ich Verkehrslärm. »Wo bist du?«
    »Ich rase wie eine Tomahawk-Rakete über den Highway 14. In ein paar Stunden bin ich in Santa Barbara.«
    Meine Kehle war wie zugeschnürt, aber ich unterdrückte meine Rührung. »Du denkst, ich bin tot, und nimmst das Auto?«
    Er ließ ei nen rauen Laut hören, der kein echtes Lachen war.
    »Die Marine kann es nicht ausstehen, wenn ich mir die Hornets für Privatflüge ausleihe.« Dann wurde er wieder sachlich. »Wir sind in drei Stunden da.«
    Wir. Das hieß, mein Neffe Luke war auch dabei.
    »Ich kann es gar nicht erwarten.« Damit gab ich das Handy zurück.
    »Können Sie sich ausweisen?«, fragte Ms. Aguilar.
    Ich zeigte ihr meinen Führerschein. Sie runzelte die Stirn.
    »Kathleen Evan Delaney. Wie auf den Kreditkarten, die die Tote bei sich hatte.«

    »Verflucht.« Ich warf einen Blick auf das Tuch und sah dann Jesse an. »Hast du das gehört?«
    Er beendete das

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