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Gefürchtet

Titel: Gefürchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ihr Vater drängend.
    Wir marschierten in den Salon, der sich in ein Meer aus Gardenien und rosa Rosen verwandelt hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich Marc in militärischer Haltung an der hinteren Wand stehen. Ich umklammerte mein Brautjungfernsträußchen, als wäre es eine Handgranate. Falls noch irgendwer den Fleck erwähnte, würde ich den Sicherungsstift ziehen und die Familie der Braut in die Luft jagen.
    Während die anderen Brautjungfern einen flotten Twostepp hinlegten, wandelte ich gemessenen Schrittes auf den Altar zu. Im Geiste verfluchte ich Toby Price, der dafür gesorgt hatte, dass ich die Generalprobe verpasste. Die Brautjungfern schüttelten die Schultern im Motown Groove. Jetzt, wo ich genauer hinhörte, merkte ich, dass der Geiger Chain of Fools spielte. Chai-chai-chain … Über die Köpfe der Mädchen hinweg entdeckte ich den Richter, der die Trauung vornehmen sollte. In seiner schwarzen Robe schien er mir der Inbegriff ruhiger Würde. Dafür wirkte David einigermaßen verwirrt und verängstigt. Chai-chai-chain …

    Jesse war praktisch am Ende der Reihe platziert worden. Bei den Trauzeugen des Bräutigams ging es offenbar nicht nach der Größe, denn Jesse war größer als alle anderen. Da er im Rollstuhl saß, sah man das allerdings nicht. Ich kam aus dem Tritt. Deswegen war Patsy so verschnupft gewesen! Sie fand, dass Jesse fehl am Platz wirkte. Ihm und David machte das nichts aus, aber sie trieb es schier in den Wahnsinn. War er ihr peinlich, oder hatte sie Angst, dass es ihm peinlich war? Chai-chai-chai-ai-ai-ai-ai-ain … Ich lauschte so konzentriert auf den Rhythmus, dass ich um ein Haar Kelli gerammt hätte. Oder war es Kristi? Bambi?
    Jesse lächelte mich fragend an.
    Am Ende des Ganges schwärmten wir aus und nahmen unsere Plätze ein. Jesse warf den Kopf zurück, weil ihm das Haar in die Augen fiel. Die Leute vergaßen gern, wie groß, wie eindrucksvoll gebaut er war. Ich wusste, dass er sich manchmal gern zu voller Höhe aufgerichtet hätte. Aber wenn er an Krücken ging, brauchte er dafür seine gesamte Konzentration und Energie. Er konnte nur kurze Entfernungen zurücklegen und hatte keine Hand frei. Das Paradox seines Lebens war, dass er auf Krücken zwar aufrecht stehen konnte, aber den Rollstuhl für seine Bewegungsfreiheit brauchte.
    Die Musik setzte aus. Dann stimmte der Pianist Den Ritt der Walküren an, will sagen den Hochzeitsmarsch. Caroline rauschte durch den Gang, und die dreihundert Gäste erhoben sich. Die Frauen tupften sich die Tränen ab. Dann stand Caroline vor uns. Ihr Vater küsste sie auf die Wange, und David lächelte. Er schien sich wirklich auf das Ende seines Lebens als freier Mann zu freuen.
    Der Richter bedachte das Paar mit einem sentimentalen Lächeln und begann. Ich sah Jesse an. Diesmal dauerte es
eine Weile, bis er meinen Blick erwiderte. Seine Miene war wehmütig - darin war er Meister -, und es lag eine unausgesprochene Frage darin. Was ist mit uns, Delaney?
    Der Richter verlor keine Zeit. In guten wie in schlechten Tagen? Abgehakt. Bis der Tod, Zellulitis, Autorennen, der Bademeister oder Internetpornos euch scheiden? Abgehakt. Dann erklärte der Richter die beiden für Mann und Frau. Caroline hob den Schleier, um den Bund zu besiegeln.
    Ich bekam feuchte Augen.
    Ich wischte die Tränen weg und konnte nur hoffen, dass ich dabei nicht mein Make-up verschmierte. Das ist mein finsteres Geheimnis: Ich weine grundsätzlich bei Hochzeiten. Und wenn die Nationalhymne gespielt wird. Und wenn Bruce Willis am Ende von Armageddon den Kometen in die Luft sprengt. Die Gäste applaudierten. Jesse starrte mich verblüfft an.
     
    Der Ballsaal ging auf Gartenanlagen und den Swimmingpool hinaus. Dahinter erhoben sich die waldgrünen Berge. Das durch die Fenster hereinströmende Licht beleuchtete die Perlen an Carolines Hochzeitskleid und Davids strahlendes Gesicht. Die beiden standen mit ihren Eltern auf der Tanzfläche und schüttelten einem Gast nach dem anderen die Hand. Ich fand Jesse am Buffet, wo die Viel falt der Speisen von einer Eisskulptur mit zwei springenden Delfinen gekrönt wurde.
    »Kriegst du eine Erkältung?«, fragte er. »Du schienst mir da hinten ziemlich zu schniefen.«
    »Das ist ein rezessives Gen, das Hei ratsdemenz auslöst.« Ich zögerte, aber dann sprach ich das Thema doch an. »Wollte deine Mutter, dass du für die Zeremonie die Krücken nimmst?«
    »Dann hätte sie zumindest auf den Fotos ihre heile Welt
gehabt. Aber macht nichts, Bilder

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