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Gefürchtet

Titel: Gefürchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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schwang sich auf das Bett. »Es war Tötung bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes. Marc hat ihn erschossen.«
    Ich ließ mei nen Kopf in das Kissen sinken und dachte an die Schüsse, die gefallen waren, als Marc in dem Hoch zeitsauto auftauchte.
    »Ist er verhaftet worden?«, fragte ich.
    »Nein, aber er wird gerade auf der Polizeistation befragt. Lavonne ist bei ihm.« Damit wollte er mich wohl be ruhigen. Das war echte Großmut.
    Ich schloss die Augen.
    »Marc passiert bestimmt nichts«, sagte er. »Der Staatsanwalt wird ihn durch die Mangel drehen, aber Marc hatte gute Gründe so zu handeln. Sehr überzeugende Gründe.«
    »Murphy.« Meine Kehle war wie zugeschnürt. »Er hat gesagt, er ist noch nicht fertig mit mir. Und jetzt …«
    »Vor deinem Zimmer ist ein Polizeibeamter postiert. Detective Rodriguez hat darauf bestanden.«
    Meine Nerven spielten verrückt, und mei ne Augen brannten schon wieder. Mühsam kämpfte ich die Tränen zurück.
    Jesse legte die Hand neben meine auf die Decke. »Toby ist auf der Flucht, und Murphy ist möglicherweise ertrunken.«
    »Glaubst du das wirklich?«
    »Toby Price ist weg, den sehen wir nicht wieder. Der wird verhaftet, sobald ihm Gras und Schokokekse ausgehen und er einen Hafen anläuft, um sich Nachschub zu besorgen.«
    »Und Murphy?«
    Jesse versuchte nie, die Dinge für mich schönzureden. »Ich weiß es nicht.«

    Ich holte tief Luft, was mir nach wie vor Qualen verursachte, und musterte ihn genau. Er wirkte völlig ausgelaugt. Seine Stimme war ruhig, aber ich spürte den Misston. Ich fühlte mich an die unheimliche Stille im Auge eines Sturms erinnert. Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, die Dinge anzusprechen, die zwischen uns standen.
    »Wieso durftest du eigentlich die Nacht hier verbringen?«, fragte ich.
    »Schwester Georgia kennt mich von früher.«
    Früher. Als er mit lebensbedrohlichen inneren Verletzungen, gebrochenem Becken, Mehrfachbrüchen beider Beine und einem zerschmetterten Wirbel hier lag. Als er an jenem Abend eingeliefert wurde, hatte ein Sanitäter mit auf der Trage gesessen, um die Oberschenkelarterie abzudrücken, weil er sonst verblutet wäre. Er war mehrfach operiert worden, hatte wochenlang auf der Intensivstation gelegen und schließlich lange Zeit in der Rehaklinik verbracht.
    Im Vergleich zu ihm war ich ein Weichei.
    Was Jesse durchgemacht hatte, überstieg meine Vorstellungskraft. Nicht ein ein ziges Mal hatte ich ihn deswegen weinen sehen. Ich hingegen sollte noch am selben Vormittag entlassen werden und hätte trotzdem am liebsten losgeheult. Mein Versuch, mir nichts anmerken zu lassen und die Tränen hinunterzuschlucken, ging jämmerlich daneben.
    Ich bedeckte die Augen mit der gesunden Hand. Jesse schaltete den Fernseher aus und zog sanft meine Hand weg, sodass ich gezwungen war, ihn anzuschauen.
    »Gestern war eine einzige Katastrophe«, sagte er.
    »Am liebsten würde ich den ganzen Tag ungeschehen machen.«
    »Das geht aber nicht.«

    Der Drang zu weinen wurde immer stärker. Seine Hand ruhte auf mei ner, und ich lag ganz still, um nicht die Fassung zu verlieren. Er ließ meinen Blick nicht los.
    »Du wirst lange Zeit deine ganze Kraft brauchen, um mit der Angst und der Wut fertig zu werden, die die Ereignisse von gestern ausgelöst haben.«
    Ich atmete vorsichtig ein.
    »Was soll ich tun?«, fragte er. »Willst du, dass ich verschwinde?«
    »Nein.« Ich packte seinen Arm. »Auf keinen Fall.«
    Ein Funken der Erleichterung flackerte in seinen Augen. Es war der erste Ausdruck auf sei nem Gesicht, den ich einordnen konnte.
    Er ließ mei nen Arm nicht los. »Dann werde ich dich hier rausholen und dir helfen, gesund zu werden. Alles andere kann warten.«
    »Ich bin doch kein Baby.«
    »Ev, du hast dich um mich gekümmert. Lass mich für dich dasselbe tun.«
    Ich drückte seinen Arm. Die undurchdringliche Mischung aus Erschöpfung, Trauer und Distanziertheit in sei nem Gesicht gab mir nach wie vor zu denken.
    »Wir müssen reden«, sagte ich.
    »Ich weiß.«
    »Bist du wütend?«
    »Wütend ist gar kein Ausdruck. Aber nicht auf dich, sondern auf die Männer, die dir das angetan haben.«
    Er ließ mei nen Arm los, griff nach dem Rollstuhl und schwang sich hinein.
    »Und jetzt finden wir erst mal raus, wann wir diese gastliche Stätte verlassen können.« Er drückte den Rufknopf und
zückte sein Handy. »Soll ich Nikki fragen, ob sie dir saubere Klamotten bringt?«
    »Bitte!«
    Er musste sich immer beschäftigen, um sich

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