Geheimnummer. Kein Sex nach Plan
Vielleicht wollte er auch gerade mit mir nicht reden. Denn natürlich ging es bei uns um mehr als diese dämliche Meldung. Das wusste Tim genauso wie ich. Die ganze Aktion kam mir mehr und mehr wie ein Kamikaze-Unternehmen vor. Aber jetzt war es wieder einmal zu spät.
In letzter Minute
Gegen fünf klingelte ich bei Daniel, und wie erwartet machte er nicht auf. Ich erkundigte mich bei einer Nachbarin nach ihm. Aber außer, dass sie sich über die nervenden Journalisten aufregte, die dauernd bei ihr klingelten, konnte sie mir nichts über Daniel sagen. Er war verschwunden oder versteckte sich womöglich in der Wohnung. Offenbar hatte das Medieninteresse inzwischen nachgelassen, denn heute war ich die einzige Journalistin, die das Haus belauerte.
Ich setzte mich ins Auto und wartete, obwohl die Chancen, ihn auf diese Weise anzutreffen, gleich null waren. Udo hatte mir bis 21 Uhr Zeit gegeben, Daniels Seite der Geschichte zu recherchieren. Sonst würde die Meldung ohne sein Statement rausgehen. Ich kam mir fast vor wie in einem großen Politthriller.
Nach einer Weile wurde es im Auto unbequem. Egal wie ich mich auf dem Fahrersitz drehte und wendete, der Bauch störte und drückte unangenehm auf meine Blase. Ich hatte unterwegs bereits viermal zum Pinkeln angehalten und musste schon wieder dringend aufs Klo. Langsam wurde mir der Sinn und Zweck eines Mutterschutz-Urlaubs bewusst. Arbeiten war einfach zu anstrengend, auch wenn ich hier im Grunde nur tatenlos herumsaß. Ich stieg aus, wanderte eine Weile die Straße auf und ab, setzte mich wieder ins Auto. Schließlich fuhr ich los und klapperte noch einmal alle Ecken ab, die Daniel mir während unserer kurzen Nichtbeziehung gezeigt hatte. Kneipen, Parks, Cafés, selbst bei Freunden fragte ich nach. Keiner hatte ihn gesehen, und keiner wusste, wo er war.
Ziemlich erschöpft kehrte ich um halb acht noch einmal zu seiner Wohnung zurück. Er war immer noch nicht da oder machte einfach nicht auf. Trotzdem wollte ich ihm eine letzte Chance geben, bis Punkt neun Uhr. Vorher gab ich nicht auf, auch wenn ich noch so dringend aufs Klo musste. Ich kurbelte die Lehne des Fahrersitzes nach hinten und versuchte, ein wenig zu entspannen. Als ich schon fast eingedöst war, kam mir plötzlich der rettende Einfall. Daniels Schlüssel. Ich hätte mich ohrfeigen können, dass ich erst jetzt daran dachte. Dabei steckte die Lösung des Problems gleich hier in meiner Jackentasche. Ich hatte mehrmals mit dem Gedanken gespielt, Daniel den Wohnungsschlüssel einfach mit einem netten Brief zurückzuschicken, und es dann immer wieder als geschmacklos verworfen. Er hing immer noch an meinem Schlüsselbund, als Erinnerung daran, dass ich etwas gutzumachen hatte. Ich kramte ihn aus der Tasche und kam mir ziemlich blöd dabei vor, jetzt wie selbstverständlich dieselbe Haustür aufzuschließen, vor der ich gerade stundenlang gewartet hatte. Schwer atmend stapfte ich in den fünften Stock und klopfte noch einmal an Daniels Wohnungstür, bevor ich sie aufschloss.
»Daniel? Bist du da? Ich bin’s, Karina.«
Keine Antwort. Die Wohnung war dunkel. Es roch muffig, als hätte er tagelang nicht gelüftet. Aber bevor ich weitere Nachforschungen anstellen konnte, setzte ich mich erst mal aufs Klo. Sofort war mir alles wieder vertraut. Der knallgelbe Duschvorhang mit den weißen Kalkflecken, die altmodischen braunen Kacheln vom Vormieter, der Geruch, eine Mischung aus Daniels herbem Deo und der fast süßlich riechenden Seife am Waschbecken.
Ich wanderte durch die Wohnung. Alles war wie immer. Nicht sehr ordentlich, aber auch nicht übertrieben unordentlich. Wenn er wirklich für länger verreist war, dann hatte er es zumindest nicht geplant. Im Kühlschrank waren noch eine angebrochene Tüte Milch, etwas Wurst, ein paar vertrocknete Äpfel, Schwarzbrot. Daniel war einer von den Leuten, die einfach alle Lebensmittel in den Kühlschrank packten. Eine ungespülte Tasse und etwas Besteck lagen in der Spüle, aber den Müll hatte er weggebracht. Alles in allem nicht sehr aufschlussreich. Er konnte verreist sein oder auch nicht. Er konnte auch einfach nur unterwegs sein und jeden Moment wiederkommen. Es war zehn vor acht. Ich beschloss, bis neun zu warten. Dann würde ich eine Nachricht samt Schlüssel dalassen und verschwinden. Mehr konnte ich nicht tun. Ich machte es mir auf dem Sofa bequem.
Irgendwann wachte ich auf, weil ich etwas grob an der Schulter geschüttelt wurde. Ich blinzelte Daniel verschlafen
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