Gehetzt - Thriller
großartig. Soll er doch weitermachen und glauben, es wäre sein Fall. Genau wie er glaubte, der Fall Rick Churchpin wäre erledigt.
Mit immer noch vor Wut glühendem Gesicht stieg Diane in ihren Streifenwagen und ignorierte die Blicke der Scharen von Schaulustigen. Einige standen in Bademänteln oder Schlafanzügen auf ihren Veranden; offenbar dachten sie, die Ausnahmesituation erlaube es ihnen, sich in diesem Aufzug draußen blicken lassen zu können. All diese Leute, die nichts wussten und nichts gesehen und nichts gehört hatten. Normalerweise bemühte sich Diane, nicht in die Falle der polizeitypischen Denke zu tappen und die Bevölkerung im Allgemeinen für eine einzige Ansammlung von Arschlöchern zu
halten, doch immer, wenn sie all diese Leute herumlungern und kleinere oder größere Tragödien wie diese begaffen sah, mit Blicken, die zwischen Angst, Bestürzung und Dankbarkeit hin- und her schwankten (dieser Gott-sei-Dank-ist-dasmir-nicht-passiert-Blick), fiel es ihr schwer, die Zuschauer nicht als eine Viehherde zu betrachten. Und jeder, der schon mal in der Nähe einer Kuh gewesen ist, weiß, dass Kühe so dumm sind wie Bohnenstroh.
Sie fuhr weg, weg von Sheriff Gib Lowe und seinem verzerrten Selbstbild, weg von der blutüberströmten Leiche Juanita Churchpins, weg von all den dumpfbackigen Nachbarn, die des Gaffens zweifelsohne bald überdrüssig sein und in zwanzig Minuten zurückkehren würden zu ihren Sesseln und Fernsehgeräten. Ein paar Blöcke weiter fuhr Diane an den Straßenrand, holte ihr Aufnahmegerät heraus und gab die Beobachtungen ein, die sie am Tatort des Mordes gemacht hatte, damit sie im Schreibbüro niedergeschrieben und zu einem Bericht verfasst werden konnten. Sie achtete insbesondere darauf hervorzuheben, dass der Staatsanwalt den Sheriff angewiesen habe, den Fall zu übernehmen und jegliche weitere Ermittlungen infolgedessen mit Sheriff Lowe zu koordinieren seien. Vielleicht würde der Po lizeichef ja Krach schlagen, aber sie bezweifelte es. Der Chef liebte es ruhig. Auf Kompetenzgerangel zwischen den verschiedenen Polizeibehörden stand er gar nicht.
Diane fuhr langsam mit he runtergekurbelten Fenstern die vertrauten Straßen entlang, spürte die Abendhitze und wusste, dass die nicht nachlassen würde, nicht einmal in der tiefsten Nacht um drei Uhr früh, wenn nur noch in den Schatten lauernde Einbrecher unterwegs waren oder Betrunkene, die versuchten, die elenden Bleiben zu finden, die sie ihr Zuhause nannten. Oder Teenager, die irgendwann nach Mitternacht heimlich aus den Fenstern ihrer Zimmer gestiegen waren und
die Freiheit einer Sommernacht suchten: Bier und Zigaretten, vielleicht sogar ein bisschen Party und Sex.
Wenn Efird Wind da von be kam, würde er viel leicht ausrasten und sich den Fall zurückholen. Falls er ihn überhaupt wollte. Seit dem vergangenen Dezember schien er gar nichts mehr zu wollen. Sie hatten es früh erfahren, die Nachricht hatte sich in Windeseile verbreitet, war wie Meister Proper einem weißen Wirbelwind gleich von Mund zu Ohr zu Mund über die mit Neonlicht beleuchteten Flure des Polizeipräsidiums in den Einsatzbesprechungsraum gerast und hatte in ihrem Kielwasser ein leises Gemurmel hinterlassen: Efirds Freundin. 357er. Badezimmertür verriegelt, er hat sie angefleht rauszukommen. Kawumm! Hirn und zersplitterte Schädelknochen über den ganzen Spiegel gespritzt.
Es überraschte Diane nicht, dass die Geschichte ihn fertigmachte. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie reagieren würde, wenn Renfro so eine Nummer abziehen würde. Nicht dass er an so etwas auch nur denken wür de, in einer Million Lichtjahren nicht. Renfro war im Grunde seines Herzens glücklich, und genau das war es, was sie am meisten an ihm mochte. Aber falls er je so etwas täte … Egal, was sie von Efird hielt, wegen dieser Geschichte und dem, was er durchgemacht haben musste, tat er ihr leid. Fast das gesamte Präsidium war zur Beerdigung erschienen und hatte ihn unbeweglich am Grab stehen sehen. Er hatte ganz den texanischen Macho herausgekehrt. Hatte dagestanden wie eine Statue. Keine Träne vergossen. Hatte nur die Mutter des toten Mädchens in die Arme genommen und behutsam gewiegt, während sie geweint und gezittert hatte und am Rande eines Nervenzusammenbruchs gewesen war. In solchen Situationen mussten Männer Stärke zeigen. Und das schien Diane eine furchtbare Bürde. Vielleicht waren deshalb so viele von ihnen seelische Wracks.
Es war beinahe zwanzig vor
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