Geisterlicht: Roman (German Edition)
in der Nähe der Tür. Als hätte sie Fionas Blick gespürt, blieb Catriona stehen. Vage meinte Fiona zu erkennen, dass die geisterhafte Erscheinung auf die Tür deutete, als wollte sie sie auffordern, mit ihr zu kommen. Dann bewegte sie sich gleitend nach vorn, verschmolz mit dem Holz der Tür und war verschwunden.
Fiona wollte ihr folgen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Wie angewurzelt stand sie neben Aidans Schreibtisch und war nicht in der Lage, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Plötzlich spürte sie einen starken Sog in Richtung Fenster. Und im nächsten Augenblick glitt schon wieder in rasender Geschwindigkeit die Landschaft unter ihr dahin. Obwohl es inzwischen hell war, erkannte sie die Hügel und Felsen nur als verschwommene Farbflecke. Sekunden später fühlte sie dann die Matratze unter sich. Sie lag auf dem Rücken in ihrem Bett und starrte an die Decke.
Verblüfft richtete Fiona sich auf und sah sich im Zimmer um. Fenster und Türen waren geschlossen, nichts deutete daraufhin, dass sie fortgewesen war. Und doch war ihr Aufenthalt in der Burg realer gewesen als ein Traum. Allerdings hatte sie keine Ahnung, wie genau sie dorthin und wieder zurück gelangt sein sollte. Wahrscheinlich musste sie sich endlich an den Gedanken gewöhnen, dass sie aus einer Hexenfamilie stammte, bei der eben nicht alles mit rechten Dingen zuging. Bei Gelegenheit musste sie Dawn fragen, ob es zu ihren Fähigkeiten gehörte, blitzschnell an einen anderen Ort zu gelangen und sich dort zu bewegen, ohne gesehen zu werden. Immerhin ritten in Märchen die Hexen auf Besen durch die Luft. Vielleicht ging es ja auch ohne? Allerdings war Fiona ziemlich sicher, dass es nicht ihre, sondern Catrionas Hexenkunst gewesen war, die sie auf diese verblüffende Art nach Sinclair Castle befördert hatte.
Mit ihrer Rückkehr schien Catriona jedoch nichts zu tun gehabt zu haben. Suchend schaute Fiona sich im Zimmer um, doch im Grunde wusste sie, dass der Geist nicht hier war. Er war bei Aidan in der Burg.
Hastig schlug sie die Decke zurück und sprang aus dem Bett. Aidan! Sie musste zu ihm. Denn wenn sie auch glaubte, dass Catriona eigentlich kein böses Wesen hatte, hatte sie doch die Männer der MacNaughtons verflucht. Was, wenn sie sich an ihrem Todestag – dem Tag, an dem sie als Hexe verbrannt worden war – an einem von Arthurs Nachkommen rächen wollte?
Hastig wusch Fiona sich, fuhr sich flüchtig mit dem Kamm durch die Haare, putzte sich die Zähne und sprang in die nächstbesten Kleider. Das Frühstück ließ sie ausfallen und legte nur etwas frisches Obst für Lillybeth draußen auf das Fensterbrett. Die Räbin war nicht zu sehen, aber sie würde sicher bald kommen, um sich die Leckerbissen abzuholen. Auf geheimnisvolle Weise schien sie jederzeit zu wissen, was die Schwestern gerade taten.
Eilig verließ Fiona das Haus, stieg ins Auto, konzentrierte sich und murmelte den Zauberspruch vor sich hin, den Dawn ihr beigebracht hatte. Als der Motor laut tuckernd ansprang, atmete sie auf.
Die Eingangstür, die normalerweise tagsüber nicht abgeschlossen war, ließ sich nicht öffnen. Beunruhigt drückte Fiona auf die Klingel und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, während sie wartete. Es dauerte eine Weile, bis sie Aidans Stimme durch den neben der Klingel angebrachten Lautsprecher hörte.
»Hallo? Wer ist da?« Er klang verschlafen.
»Ich bins, Fiona. Ich wollte …« Sie stockte. Wenn sie ihm sagte, dass sie sich wegen Catriona um ihn sorgte, würde er sie für verrückt erklären. Andererseits musste sie ihn warnen. Oder sich zumindest in seiner Nähe aufhalten, um ihn im Notfall vor ihrer Urahnin zu schützen.
Der Türöffner surrte, sie schob die schwere Tür aus Eichenholz auf und stand in der Eingangshalle der Burg. Angespannt schaute sie sich um, konnte jedoch nirgends den vertrauten grauen Schatten sehen. Unter der riesigen Lampe mit den geschnitzten Armen aus Holz, an deren Enden Milchglaskugeln mit Glühlampen angebracht waren, blieb sie stehen und wartete mit klopfendem Herzen. Die Wege in Sinclair Castle waren lang.
Schließlich tauchte Aidan oben an der breiten Treppe auf. Er trug einen dunkelbraunen Morgenmantel, und seine Haare standen wirr vom Kopf ab.
»Oh. Ich habe dich aus dem Bett geholt. Das tut mir leid. Ich hatte vergessen, dass du die Nacht durchgearbeitet hast. Aber ich musste einfach kommen, weil …« Sie knetete verzweifelt die linke Hand in der rechten, weil ihr kein einleuchtender
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