Geisterstadt
Kind, aber das Mädchen hatte den entscheidenden Vorteil, dass es nicht durch eine blutige Bisswunde am Unterarm abgelenkt wurde. Es sprang auf und rannte über den Markt auf die Tierverkäufer zu.
Dicht bei diesen Händlern gab es einen weiteren Ausgang. Und hinter diesem Ausgang erstreckten sich die Straßen von Downside, ein Labyrinth aus Gässchen und besetzten Häusern und tausend anderen Verstecken, in denen sich ein kleines Mädchen verkriechen konnte. Sie würde auf gar keinen Fall zulassen, dass die Kleine ihr so davonkam. Wenn doch, würde Chess sie nie wiederfinden.
Also rannte Chess ihr nach. Das Mädchen schlängelte sich zwischen den Menschen hindurch, Chess musste sie beiseiteschubsen. Ihr Herz raste. Blut tropfte von ihrem Arm auf den schmutzigen Boden, und Chess konnte nur hoffen, dass keiner hier wusste, welche Macht in diesem Blut schlummerte oder was man alles damit anstellen konnte, denn wenn auch nur ein geschäftstüchtiger Bastard auf die Idee kam, den blutigen Straßendreck zusammenzukratzen, hatte er eine hübsche kleine Zauberzutat oder die Grundlage für einen Fluch gegen sie.
Aber für solche Bedenken hatte sie jetzt keine Zeit. Sie sprang über ein paar Hühner und heftete die Augen immer noch auf das dünne, abgewetzte graue Shirt und die übergroßen Jeans mit den dicken Rollen an den Knöcheln, die das Kind trug.
Das Mädchen tauchte durch den Ausgang und wandte sich nach links, Chess hinterher. Fast hatte sie die Kleine, nur noch ein paar Zentimeter, dann könnte sie sie am hässlichen Haar packen und zurückreißen ...
Das Mädchen wirbelte herum. Wieder blitzte ihre Klinge durch die Luft. Chess stolperte über eine leere Bierflasche und schlug sich beim Sturz die Knie auf dem rissigen Pflaster auf. Schmerz durchzuckte ihre Beine.
Trotzdem stand sie wieder auf - sie würde sich doch nicht von einem Kind unterkriegen lassen. Aber es war zu spät. Das Mädchen verschwand in einer Seitengasse, und etwas krachte, lauter als die sich schnell entfernenden Schritte.
Als Chess das enge Gässchen erreichte, war es verschwunden. Oder jedenfalls beinahe. Ganz am Ende der Gasse, dort, wo sie in die dreiundfünfzigste Straße mündete, erhaschte Chess eine Bewegung. Zwei Gestalten verschwanden in der sonnen- überfluteten Menge. Einen Moment lang konnte sie sie noch erkennen, im nächsten waren sie schon weg.
Aber sie hatte sie gesehen. Der Strubbelkopf des Mädchens war leicht wiederzuerkennen. Und beinahe genauso leicht zu erkennen war der noch viel struppigere Kopf von Arthur Maguinness an ihrer Seite, der das Kind im Laufen aulhob und davontrug.
15
Ihre Straßen sind technische Meisterwerke, die die Kirche im Lauf der Zeit nur noch verbessert hat. Eine Geschichte der alten Regierung, Band V: 1930-1974
Maguinness brauchte Geld. Maguinness beauftragte irgendein Kind damit, sie zu bestehlen. Ausdrücklich sie? Oder hatte es einfach irgendjemanden bestehlen sollen und sie als das leichteste Opfer auserkoren?
Aber sie sah eigentlich keineswegs wie ein leichtes Opfer aus - glaubte sie zumindest. In Downside lauerte die Gefahr an jeder Straßenecke und schwebte über den Köpfen der Leute wie Rauchschwaden, aber Chess war nicht nur vorsichtig, sie gehörte nicht nur zur Kirche, nein, sie arbeitete auch noch für Bump. Seit das allgemein bekannt war, hatte sie nie mehr Probleme gehabt.
Und warum sollte Maguinness ihr eigentlich überhaupt Stress machen? Er hatte doch keine Ahnung, in welcher Sache sie gerade ermittelte. Oder? Und selbst wenn doch, falls die Lamaru vor ihm Angst hatten oder in irgendeine Auseinandersetzung mit ihm verwickelt waren, konnte es ihm doch wohl nur recht sein, wenn sie ihnen auf den Fersen war.
Scheiße! Wie kam es eigentlich, dass in ihrem Leben jedes Mal, wenn sie auch nur an die Lamaru dachte, alles komplett den Bach runterging?
Nein, die Geschichte mit Terrible hatte mit den Lamaru nichts zu tun, aber gerade jetzt in diesem Moment, als sie auf den Kirchenparkplatz fuhr, fühlte es sich so an, als wäre da doch was. Wenn die Lamaru nicht ihren Mist am Chester Airport durchgezogen hätten, dann hätte sie sich schließlich auch nie mit Terrible oder Lex eingelassen. Damit war doch bewiesen, dass alles bloß ihre Schuld war.
Diese Lüge fühlte sich zwar auch sofort wie eine faustdicke Lüge an, aber egal. Sie wollte die Lamaru als Sündenböcke abstempeln, also tat sie’s auch. Was wollten die denn dagegen machen, sie etwa angreifen? Das würden sie doch
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