Geliebte Schwindlerin
fest.
Sie verließ das Bett und wusch sich, dann ließ sie sich von Rose in das elegante Tageskleid helfen, das Connie ihr für diesen Morgen ausgesucht hatte. Während des Ankleidens bemerkte sie, wie Rose verstohlen gähnte.
„Sie sind noch müde!“ stellte sie bedauernd fest. „Wie rücksichtslos von mir, Sie gestern abend noch geweckt zu haben. Ich verspreche Ihnen, es nie wieder zu tun.“
„Es ist nicht Ihre Schuld, Miß, daß ich müde bin“, erklärte Rose. „Es ist wegen des Babys.“
„Ein Baby?“
„Ja, das klingt vielleicht seltsam, aber ich war hier als zweites Hausmädchen angestellt, bevor ich geheiratet habe, und helfe jetzt noch aus, wenn Gäste im Haus weilen.“
„Ich verstehe“, sagte Minella, „und Sie haben Ihr Baby mitgebracht.“
„Mein Mann ist Wildhüter, Miß, und er muß um diese Jahreszeit aufpassen, daß die Fasane nicht den Füchsen zum Opfer fallen. Deshalb mußte ich meine beiden Kinder mitnehmen und habe in der Nacht kaum ein Auge zumachen können.“
„Tut mir leid“, sagte Minella. „Darf ich Ihr Baby mal sehen?“
„Das ist doch nicht nötig, Miß. Wir wollen Sie nicht belästigen.“
„Aber ich möchte das Kind gern sehen“, beharrte Minella. „Haben Sie ihm eigentlich schon mal Honig gegeben? Mama riet den Leuten im Dorf immer, Kleinkindern Honig zu geben, wenn sie zahnten. Sie werden feststellen, wie beruhigend das tagsüber auf Ihr Baby wirkt und wie gut es nachts schlafen wird.“
„Davon habe ich noch nie etwas gehört!“ rief Rose aus. „Aber ich werde es auf jeden Fall einmal ausprobieren.“
„Lassen Sie mich mitkommen und Ihren Sohn einmal sehen“, wiederholte Minella ihre Bitte.
„Sein Zimmer ist am Ende des Ganges, Miß. Die Haushälterin hat mir freundlicherweise einen Schlafraum auf dieser Etage zur Verfügung gestellt, damit ich keinen zu weiten Weg habe, wenn Sie mich brauchen.“
Minella folgte Rose zu einem Raum, der offensichtlich kein Gästezimmer war, sondern als Kammer für die Dienstboten eingerichtet war.
Das Baby in der Wiege weinte, und auf dem Fußboden spielte ein reizendes dreijähriges Mädchen mit Bauklötzen.
„Das ist Elspeth“, stellte Rose stolz ihre kleine Tochter vor, „und der Schreihals da ist Simon.“
Sie hob ihn aus der Wiege, und er hörte sofort auf zu weinen.
„Holen Sie etwas Honig für ihn“, sagte Minella. „In der Küche gibt es sicher welchen. Ich passe auf die Kinder auf.“
Rose wollte protestieren, doch dann siegte die Sorge um ihren kleinen Sohn, den sie rasch wieder in die Wiege legte, wo er sofort wieder zu schreien begann. Dann lief sie schnell aus dem Zimmer.
Minella nahm den Jungen auf den Arm, wanderte mit ihm im Zimmer umher, klopfte ihm beruhigend auf den Rücken und wiegte ihn in den Armen, bis er aufhörte zu weinen und nur noch leise wimmerte.
Ihre Mutter hatte sich im Dorf um kranke Menschen gekümmert, weil der Vikar unverheiratet war. Die Mütter waren mit ihren Sorgen zu ihr gekommen, und auch bei Unfällen war sie zu Hilfe gerufen worden. Deshalb war Minella von klein auf gewöhnt, Babys zu pflegen, Wunden zu verbinden oder mit Kindern zu spielen, deren Vater oder Mutter gerade von ihrer Mama behandelt wurden.
Als Rose zurückkam, gaben sie Simon einen Löffel voll Honig, der ihm offenbar schmeckte, denn er verstummte sofort.
„Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, Miß“, sagte Rose. „Wie töricht von mir, wo hier doch jeder einen Bienenstock im Garten hat!“
„Vergessen Sie nicht, Simon zusätzlich Wasser trinken zu lassen“, sagte Minella, „und soviel Milch, wie er will. Der Honig macht ihn durstig, aber er beruhigt auch und wird Ihnen heute nacht zu einem ungestörten Schlaf verhelfen.“
„Sie sind sehr freundlich, Miß, ja, das sind Sie“, sagte Rose dankbar.
Nach dem Besuch bei den Kindern eilte Minella nach unten, um nicht zu spät zum Frühstück zu kommen. Doch als sie das Frühstückszimmer betrat, traf sie nur den Grafen an.
Er war überrascht, sie zu sehen, zumal sie sich noch genötigt sah, sich zu entschuldigen.
„Tut mir leid, daß ich mich verspätet habe, aber Rose meinte, es wäre ohnehin noch niemand wach.“
„Sie kommen früh, aber nicht zu früh“, erwiderte der Graf. „Tatsächlich sind wir die einzigen, die schon auf sind.“
„Wollen Sie damit sagen, daß die anderen Herren auch noch schlafen?“ fragte Minella. Das wunderte sie deshalb, weil ihr Vater gewöhnlich sehr früh aufgestanden und vor dem
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