Geliebter Boss
sagst?«
Er nimmt sie, ehe sie es sich versieht, in seine Arme. Seine Lippen suchen ihren Mund. Er flüstert:
»Jetzt nenne mich Herr Rockefeller!«
In diesem Augenblick geht die Tür auf.
Der Schlafwagenschaffner steht draußen.
»Zweimal Kaffee für die Herrschaften«, sagt er »und in zehn Minuten sind wir in Wien.«
8
In Wien, auf der Mariahilfer Straße, genau gegenüber dem Flottenkino, baut ein Mann seinen Laden um.
»Während des Umbaus findet der Verkauf in den hinteren Räumen zu sensationell niedrigen Preisen statt!« hat er an seine Ladentür geschrieben und dies noch dazu rot unterstrichen: »Lederkoffer zu besonders niedrigen Preisen!«
Der Mann heißt Moritz Jacobi. Heute verwünscht er sich wegen seiner Dummheit. Warum er nicht klug genug war, auf den Umbau seines gutgehenden Geschäfts zu verzichten; noch dazu auf der Mariahilfer Straße, wohin nur die Wiener einkaufen gehen, die des Aberglaubens sind, je altmodischer und unaufgeräumter ein Laden ist, desto niedriger sind die Preise; wird man heute nicht mehr feststellen können.
Ein Mann, der Vorhandenes und Bewährtes umbaut und sein schwerverdientes Geld in eine neue Fassade, neue Schaufenster und Chrom und Neon anlegt, ist wie ein Kranker. Mit einem Bazillus Hochmut fängt es an. Zuerst grassiert die Krankheit in seinem Herzen und gaukelt ihm Traumbilder vor: einen prächtigen Verkaufssalon, große und tiefe Schaufenster, Nußbaumholzregale, Teppiche, Beleuchtungskörper aus Kristall, Kundschaft vom Baron bis zum Grafen aufwärts, bildhübsche junge Verkäuferinnen, alle in gleichen Kleidern und mit gleichen Frisuren, die Kasse, hinter der er sitzt, wie ein Königsthron — dann greift die Krankheit nach seinem Verstand, nistet sich in sein Hirn ein, und zum Schluß ist seine ganze Person vom Verfall bedroht: Ärger mit den Handwerkern, Streit mit den Behörden, Verdruß mit dem Hauswirt, Kummer mit den Banken, und unmittelbar darauf ändert sich sogar seine Stimmlage — aus dem Tenor des reichen Mannes wird der Sopran des um die Geduld seiner Gläubiger wimmernden Zahlungsunfähigen.
Unser Freund Moritz Jacobi verwünscht sich täglich wegen seiner Dummheit, mit dem Umbau begonnen zu haben. Er verflucht die Stunde, als er den jungen Architekten zum erstenmal zu sich rief, zu einer unverbindlichen Besprechung zunächst. Warum war ihm damals nicht besser einer von den Ziegeln auf den Kopf gefallen, die jetzt haufenweise, zu Hunderten übereinandergeschichtet, in seinem alten, schönen Laden herumliegen und über die in diesem Augenblick — »Während des Umbaus findet der Verkauf in den hinteren Räumen zu sensationell niedrigen Preisen statt!« — zwei junge Menschen steigen, ein Mann in Blue jeans, ein Rotbärtiger, und ein junges Mädchen dazu, das so aussieht, daß man sich als Unbeteiligter ärgert, wenn der Beteiligte sie an der Hand führt.
Peter und Birke haben das Taxi auf der Mariahilfer Straße warten lassen. Peter wußte aus seinem früheren Wiener Aufenthalt an dieser Stelle, unweit des Cafes Mariahilf , auf der rechten Seite ein großes Lederwarengeschäft, das stets Okkasionen feilbot, das er zwar noch nie betreten hatte, das ihm aber, im Augenblick als geeignete Einkaufsgelegenheit erschien.
»Du kannst nicht ohne Koffer im Hotel ankommen«, hatte er zu Birke gesagt, »sie würden dich schief ansehen.«
»Nicht nur mich. Dich auch. Wie du jetzt aussiehst, bist du auch kein Gentleman.«
»Mich kennen sie dort. Ich habe, als ich das letztemal verhaftet wurde, einen ganzen Schrankkoffer mit meinen Sachen zurückgelassen.«
»Du glaubst, sie haben ihn aufgehoben?«
»Ins Kittchen nachgeschickt haben sie ihn mir nicht. Also muß er noch dort sein.«
»Was ist das für ein sonderbares Hotel?« fragt Birke mißtrauisch. Zanders lächelt.
»Ich hoffe, es entspricht deinen Erwartungen.«
»Ein kleines Hotel?«
»Im Gegenteil. Das größte und eleganteste von Wien.«
Birke denkt nach. Dann fragt sie: »Als was gelte ich?«
»Wenn du mit Koffern ankommst, erwägt das kein Hotel.«
Zanders klopft an die Scheibe des Taxis.
»Fahren Sie rechts heran und warten Sie dort, bis wir zurück sind.« Sie steigen aus.
»Hier?« fragt Birke verwundert.
»Je anonymer wir einkaufen, desto besser für den Steckbrief.«
Sie gehen durch die offene Ladentür, steigen über herumliegende Bretter und Ziegelsteine, die den schmalen Weg nach hinten verlegen, hundert Zementsäcke stehen in einer Ecke, die Fensterscheiben sind blind
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