Geliebter Feind
Kind irgendwo auf der Landstraße von hier nach Ashbury zur Welt bringt."
Sein Ton schmerzte sie. Das zeigte sie freilich nicht, und daß Guy ja recht hatte, wollte sie erst recht nicht zugeben. „Ich wäre ja nicht allein auf der Landstraße", entgegnete sie. „Guy, bitte!
Elizabeth ist doch meine einzige Schwester. Wenn es irgend ein-zurichten wäre, würde ich so gern an ihrem Hochzeitstag bei ihr sein!"
„Ihr bittet so hübsch, Liebste. Ich würde nur wirklich gern wissen, weshalb Ihr so auf diese Reise versessen seid." Der Teufel des Zweifels ritt ihn. „Vielleicht ist es ja auch gar nicht Eure Schwester, nach der Ihr Euch sehnt, Madam. Möglicherweise könnt Ihr es ja nicht erwarten, Euren Roderick wiederzusehen."
Kathryn wußte nicht, was sie tat. Die plötzlich aufflammende Wut brachte sie soweit, daß sie ausholte und ihm eine schallende Ohrfeige versetzte.
Guy reagierte blitzschnell, packte ihre Handgelenke und hielt sie wie eine eiserne Fessel gefangen. Im Zorn blitzten seine Augen wie geschmolzenes Silber.
„So wahr mir Gott helfe", preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, „das lasse ich Euch nur dieses einzige Mal durchgehen! Laßt Euch nie wieder dazu hinreißen, mich zu schlagen!"
„Dann beleidigt mich gefälligst auch nicht derartig!" versetzte sie und versuchte vergeblich, sich aus seinem Griff zu befreien.
„Ich kann keine Beleidigung erkennen, Madam", erwiderte er trügerisch sanft. „Ganz im Gegenteil, ich sehe ausschließlich die Wahrheit. Ihr könnt doch kaum leugnen, daß Ihr Sir Roderick ehelichen wolltet, und zwar nicht nur einmal, sondern sogar zweimal!"
Diese so mitleidlose Verurteilung traf sie mitten ins Herz.
„Guy, Ihr vergeßt, daß ..."
„Ich vergesse überhaupt nichts. Ihr seid nicht nur einmal von mir geflohen. Anscheinend müßt Ihr es immer wieder tun. Und wen Ihr Euch stets als Retter aussucht, steht doch ganz außer Zweifel."
Er zog sie so dicht zu sich heran, wie es ihr angeschwollener Leib zuließ. Sie bekam es ernsthaft mit der Angst zu tun, denn sie spürte, daß er sich nur mit Mühe davor zurückhielt, gewalt-tätig zu werden.
Er neigte den Kopf zu ihr, so daß sein heißer Atem ihre Wange streifte. „Ich war zwar der erste Mann, der bei Euch gelegen hat." Er verzog die Lippen. „Doch sagt mir eines, Madam: Jene Nacht im Kloster - habe ich Euch und Euren Roderick damals zu früh gefunden oder zu spät?"
Auf eine Antwort wartete er nicht mehr. Als könnte er ihren Anblick nicht mehr ertragen, stieß er Kathryn fort, drehte sich um und schritt aus dem Gemach. Krachend fiel hinter ihm die Tür ins Schloß.
Kathryn war zutiefst betroffen. Guys Beschuldigungen waren wahrhaft unerhört und unverzeihlich. Glaubte er etwa tatsächlich, sie hätte bei Roderick gelegen?
In ihrem Schmerz taumelte sie zum Bett, und nun strömten ihr die Tränen über die Wangen. So lange hatte sie sich gegen Guy zur Wehr gesetzt - und gegen sich selbst, doch jetzt konnte sie sich vor ihren eigenen Gefühlen und vor ihren Seelenqualen nicht mehr verbergen.
Sie mußte es sich eingestehen: Sie liebte Guy. Ja, sie liebte ihn, hoffnungslos, verzweifelt, ohne Ende. Trotzdem untersagte sie sich diese Liebe und nahm sich fest vor, nicht schwach zu werden, denn sonst würde er tatsächlich der Herr und Meister ihres Herzens sein.
Eine Zeitlang herrschte Burgfrieden zwischen Kathryn und Guy. Sie erwähnte Elizabeths Hochzeit nicht mehr, obschon ihr klar war, daß dieses Thema wenig mit ihrem eigentlichen Zerwürfnis zu tun hatte.
Sie konnte nicht vergessen, daß er sie kaum verhohlen bezichtigt hatte, bei Roderick gelegen zu haben. Selbstverständlich hatte Guy das nicht etwa aus Eifersucht getan; ihm lag ja nicht soviel an ihr, als daß er eifersüchtig sein könnte. Nein, sein selbstherrliches Benehmen beruhte ausschließlich auf seinem Besitzerverhalten.
Ihr bitteres Streitgespräch an jenem schicksalsträchtigen Tag hatte alles verändert. Die gegenseitige Nähe, die sie so kurze Zeit genossen hatten, war zerstört. Der Earl und Kathryn teilten zwar Tisch und Bett, doch es gab keine liebevollen Küsse mehr, keine zärtlichen Liebkosungen, keine leidenschaftlichen Verei-nigungen. Die einstmals Liebenden waren wie Fremde, einander nah und doch so fern.
Eines Abends summte Kathryn Peter leise ein Liedchen vor.
Der kleine Junge hatte sich vorhin vor Müdigkeit nicht mehr auf den Beinen zu halten vermocht; jetzt konnte er nicht einschlafen. Sie legte sich neben
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