Gemma
Schreck Gemmas Arm los. Ihr Mund stand offen, als
sie sich zu Godfroy Ranleigh umsah.
»Und das«, Campbell zeigte auf Bryce, der seine Chancen auf Schlaf
nun endgültig schwinden sah, »ist mein Sohn und Erbe, Bryce Campbell.«
»Nicht schon wieder«, ächzte Bryce und schwang die Beine aus dem
Bett. Erschrecktes Einatmen aus drei weiblichen Kehlen ließ ihn aufblicken.
Kopfschüttelnd wickelte er sich das Laken um die Hüften und stand auf Ethel hatte sich von ihrem Schreck erholt. Ihr spekulierender
Blick glitt über Bryce' Rücken, als dieser zum Waschtisch schritt. Das war also
Lord Kenmores Sohn. Interessant.
»Komm mit!«, herrschte sie Gemma an und
schleifte sie hinter sich her zur Tür. Cedric folgte ihr langsamer und fragte
sich, was seine Frau nun schon wieder für einen Plan verfolgte.
Kapitel 5
Bryce' Laune hatte sich immer noch nicht grundlegend gebessert, als er
die große Freitreppe hinunterschritt, um sich mit seinem Vater in dessen
Arbeitszimmer zu treffen. Die Unterredung konnte bestenfalls unerfreulich
werden, wenn nicht sogar feindselig. Nach wie vor war er nicht bereit, sein
derzeitiges Leben aufzugeben und es ganz in den Dienst des Titels zu stellen,
wie sein Vater es von ihm verlangte.
Diese Chance war bereits vor langer Zeit vertan worden. Warum nur
konnte sein Vater das nicht endlich einsehen und Godfroy zu seinem Erben
ernennen?
Die Tür zum Arbeitszimmer stand einen Spaltbreit offen, und als
Bryce sie weiter aufschob, erkannte er den Drachen, den schweigsamen Ehemann
und das Mädchen, das er heute Morgen in seinem Bett vorgefunden hatte. Mochte
der Teufel wissen, was sie dort zu suchen gehabt hatte.
Angesichts dessen, was ihn erwartete, hätte Bryce sich am liebsten
umgewandt und wäre nach London zurückgefahren, aber so unangenehm die Sache
auch werden würde, er war kein Feigling, der einfach davonlief. Er atmete
einmal tief durch und stieß die Tür auf.
Alle Augen richteten sich auf ihn, aber Bryce' Blick fiel sofort
auf das Mädchen, das völlig verloren mitten im Raum stand. Ihre langen,
honigblonden Locken hatte sie aufgesteckt, und das Kleid, das sie trug,
verstand es aufs Vortrefflichste, ihre sanften Kurven zu verbergen. Sie war die
Einzige, die ihn nicht ansah, sondern den Blick auf ihre gefalteten Finger
gesenkt hielt.
»Da ist er, der Lüstling«, entrüstete sich Ethel und richtete
einen anklagenden Finger auf Bryce. Dieser ignorierte sie und schritt an ihr
vorbei zum Schreibtisch seines Vaters.
»Vater«, sagte er förmlich und deutete eine
kurze Verbeugung an. Lord Kenmore hob eine Braue, sagte aber nichts.
Stattdessen musterten seine grau-grünen Augen seinen Sohn, der diese Musterung
ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen ließ. Das schulterlange,
schwarze Haar hatte Bryce im Nacken zu einem Zopf zusammengefasst. Er trug ein
schlichtes weißes Leinenhemd, am Hals geschnürt, hellbraune Kniebundhosen und
hohe schwarze Lederstiefel. Jedes einzelne Kleidungsstück schien von
hervorragender Qualität zu sein, war aber ohne jeglichen Schmuck.
»Du siehst aus wie ein Bauer«, stellte Lord Kenmore nach einer
Weile fest, nachdem er seine Musterung abgeschlossen hatte.
Gemma sog erschrocken den Atem ein. Unter den Lidern hervor hatte
sie Bryce Campbell beobachtet, seit er den Raum betreten hatte, und sie fragte
sich, wie er wohl auf diese Beleidigung reagieren würde.
»Falls du es vergessen hast, Vater, ich bin ein Bauer«, antwortete
Bryce ruhig und ging zum Schrank, um sich ein Glas schottischen Whisky
einzuschenken. Kenmore schnaubte angewidert.
»Ein Wort von dir, und dies alles hier könnte dir gehören. Warum
nur bist du so starrsinnig?«, fragte er wütend und erhob sich.
»Ich denke, wir haben dieses Thema schon zu oft erörtert, als dass
wir es vor Zeugen wiederholen müssten«, meinte Bryce trocken und nahm einen
langen Zug.
Sein Vater schien seine Gäste bis zu dieser Erinnerung völlig
vergessen zu haben und wandte sich ihnen mit finsterem Gesicht zu.
»Jetzt, wo auch mein Sohn anwesend ist, können wir vielleicht zum
Grund Eures Hierseins kommen«, knurrte Kenmore und nahm wieder hinter seinem
Schreibtisch Platz. »Also, was wollt Ihr?«
»Dass Euer Sohn meine Nichte heiratet.«
Bryce prustete den Whisky, den er gerade im Mund hatte, durch den
Raum, und Lord Kenmore sah aus, als würde er jeden Moment explodieren.
»Was?!«, röhrten beide gleichzeitig.
Unbeeindruckt starrte Ethel die beiden ungleichen und doch so
ähnlichen Männer
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