Gemma
Hochzeitsnacht mit diesem bezaubernden Wesen kaum erwarten.
Gemma fühlte sich, als sei sie auf dem Weg
zum Schafott. Ihre Füße schienen schwer wie Blei, aber dennoch trugen sie sie
unaufhaltsam ihrem Schicksal entgegen. Lord Kenmores Sohn erwartete sie
bereits. Er hatte sich umgezogen, bemerkte Gemma, und sah jetzt, falls das
überhaupt möglich war, noch bedrohlicher aus als zuvor. Gemma fühlte unkontrollierte
Heiterkeit in sich aufsteigen, als sie daran dachte, wie sie sein Gemälde
betrachtet und sich gewünscht hatte, sie könne ihn trösten und vor der Welt
beschützen. Dieser Mann benötigte keinen Schutz und ihren schon gar nicht. Das
Lachen in ihrem Inneren angesichts dieser Ironie des Schicksals wurde stärker
und Gemma fragte sich, ob die Hochzeit wohl abgesagt würde, wenn die Braut ganz
plötzlich den Verstand verlor.
Und was würde Tante Ethel sagen? Der Gedanke an Ethel Robbins war
es, der sie schlagartig wieder nüchtern werden ließ. In ihrem Zimmer, als sie
sich umgezogen hatte, hatte Tante Ethel ihr pausenlos in den Ohren gelegen, wie
dankbar sie – Gemma – doch sein sollte, dass Ethel einen so dicken Fisch für
sie an Land gezogen hatte. Zweimal hatte Gemma gewagt zu widersprechen und war
froh, dass ihr Kleid, obwohl schulterfrei, doch langärmelig war, damit sie die
blauen Flecken, die Ethel ihr verabreicht hatte, verbergen konnte.
Was versprach Ethel sich davon, Gemma ausgerechnet
jetzt und auf Teufel komm raus zu verheiraten? Wenn sie sich erhoffte, Gemma
damit eins auszuwischen, dass sie ihr ihre Unabhängigkeit vorenthielt, die sie
in zwei Jahren endlich erlangt hätte, so hätte es eher zu Ethel gepasst, wenn
sie bis kurz vor Gemmas einundzwanzigstem Geburtstag gewartet hätte. Außerdem
bezweifelte Gemma, dass Ethel davon gewusst hatte, dass Gemma nicht
beabsichtigt hatte, jemals zu heiraten.
Mit klopfendem Herzen blieb Gemma stehen. So
sehr sie es auch hinausgezögert hatte, sie hatte Bryce Campbell erreicht. Der
Priester, ein rundlicher Mann mit lachenden Augen und weißen Haaren, strahlte
sie an. Es schien ihn nicht sonderlich zu verwundern, dass es für die Braut
anscheinend nicht der glücklichste Tag ihres Lebens war. Onkel Cedric trat
neben sie, und Gemma sah ihn erstaunt an. Mit einem mitleidigen
Lächeln ergriff er ihre Hand und platzierte sie in seiner Armbeuge. Gemma war
gerührt, dass er sie an Vaters Stelle dem Ehemann übergeben wollte, auch wenn
es einen weiteren kleinen Schritt zum Verlust ihrer Freiheit bedeutete.
Während der Priester mit der Trauungszeremonie begann, überlegte
Gemma verzweifelt, ob es nicht doch noch einen Ausweg aus dieser verfahrenen
Situation gab. Was würde passieren, wenn sie einfach nein sagte? Würde Ethel
sie dann grün und blau schlagen, bis sie der Trauung zustimmte?
»... Ihr, Bryce Alexander Gordon Scott Campbell, die hier
anwesende ...«
Bitte, flehte
Gemma still, bitte, lass ihn nein sagen.
»Ja, ich will«, erklang die kräftige, dunkle
Stimme neben ihr.
»Wollt Ihr, Gemma Victoria Edwards, den hier anwesenden ...«
Gemmas Augen füllten sich mit Tränen, aber sie
schluckte sie tapfer hinunter. Tränen hatten ihr noch nie geholfen und würden
es auch jetzt nicht tun. Was für einen Unterschied machte es schon, wenn sie
diesen Fremden an ihrer Seite heiratete? Konnte ihre Situation noch schlimmer
werden, als sie schon war?
Bryce hielt gespannt den Atem an, als der Priester Gemma die Frage
stellte. Würde sie sich weigern, oder würde sie ihn als ihren Ehemann
akzeptieren? Die Stille, die der Frage des Priesters folgte, schien endlos, bis
Gemma endlich mit klarer, heller Stimme antwortete: »Ja, ich will.«
Bryce schloss vor Erleichterung die Augen. Ein Stein schien ihm
vom Herzen zu fallen. Bis zuletzt hatte er gefürchtet, dass irgendetwas,
irgendein unglücklicher Umstand, die Trauung verhindern würde. Seine langen,
gebräunten Finger erfassten die schmale kühle Hand seiner Frau. Für einen
Augenblick spürte er ihr Widerstreben und fürchtete, sie würde ihm die Hand
entziehen, aber dann entspannte sie sich und ließ es zu, dass er ihr den zarten
goldenen Reif über den dritten Finger der linken Hand streifte. Mit einem
leisen Lächeln schloss Bryce seine Finger um ihre Hand.
»Ihr dürft die Braut jetzt küssen«, sagte der Priester. Bryce
grinste. Darauf hatte er lange gewartet.
Mit Daumen und Zeigefinger umschloss er das
Kinn seiner widerstrebenden Braut und neigte ihren Kopf leicht nach oben.
Nervös benetzte
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