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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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sich hat, will ich hier nicht
272 erörtern; es gibt in diesem Zusammenhang eine Reihe unterschiedlicher Ansätze. Die recht grobe Aussage, daß natürliche Arten Dinge sind, die in der natürlichen Welt klar als zusammengehörig identifiziert werden können, wie zum Beispiel eine chemische Verbindung oder eine Tierart, und wir entsprechende Begriffe teilen, wenn wir sie verwenden, um auf dieselbe natürliche Art zu verweisen, sollte für unsere Zwecke genügen. Wir können auch dann auf dieselbe natürliche Art verweisen, und uns darüber klar sein, daß wir das tun, wenn wir unterschiedliche Kriterien verwenden, um etwas als zu dieser Art gehörig zu identifizieren. In meinem Beispiel setzen wir beide voraus, daß »Löwe« eine bestimmte biologische Art bezeichnet und daß es sich, unabhängig davon, welche Kriterien wir normalerweise verwenden, bei jenem Tier um einen Löwen handelt, falls es tatsächlich über das verfügt, was biologisch gesehen wesentlich für einen Löwen ist, was immer das auch sein mag. Wenn Sie etwas von DNA verstehen, und man experimentell zeigen könnte, daß jenes Tier die DNA eines Löwen hat, würden Sie Ihre Meinung wahrscheinlich ändern und in Zukunft auch englischsprechende Löwen als solche akzeptieren. Bei einem kriteriumsabhängigen Begriff würde das nicht funktionieren, da nichts, was Sie über die Molekularstruktur meines Exemplars von Moby Dick herausfinden könnten, Sie davon überzeugen würde, daß es sich dabei nicht um ein Buch handelt.
    Es wäre falsch, kriteriumsabhängige Begriffe einfach als Sonderfall von Begriffen, die sich auf natürliche Arten beziehen, zu verstehen, oder umgekehrt letztere als Sonderfall der ersteren Kategorie. Glatzen haben keine wesentlichen Eigenschaften, aufgrund deren wir zu dem Schluß kommen könnten, daß bestimmte Menschen allem Anschein zum Trotz eine Glatze haben. Ludwig Wittgenstein hatte recht damit, daß Begriffe Werkzeuge sind und daß wir mit unterschiedlichen Werkzeugen ausgestattet sind. Es gibt aber eine wichtige Gemeinsamkeit von kriteriumsabhängigen Begriffen und solchen, die sich
273 auf natürliche Arten beziehen: In beiden Fällen gilt, daß ein Begriff nur dann von zwei Menschen geteilt wird, wenn beide (außer in Fällen, die beide für marginal halten) bereit wären, denselben Test als ausschlaggebend für seine korrekte Anwendung zu akzeptieren – also eine Art Entscheidungsverfahren. Wenn alle relevanten Tatsachen bekannt sind, ist daher ausgeschlossen, daß es hinsichtlich der Anwendung solcher Begriffe zu Uneinigkeiten kommt. Wenn wir unterschiedlicher Meinung darüber wären, ob ein Tier ein Löwe ist, obwohl wir uns einig sind, daß es jener Spezies angehört, die historisch als Löwen bezeichnet wird, dann ist es nicht möglich, daß wir den Begriff »Löwe« teilen.
    Erfüllen alle Begriffe, die wir teilen, diese Bedingung? Können wir hinsichtlich ihrer Anwendung immer auf ein von allen akzeptiertes idealisiertes Entscheidungsverfahren zurückgreifen? In der Rechtsphilosophie hat diese Annahme in der letzten Zeit einen großen und wie ich meine schädlichen Einfluß ausgeübt.
 3 Meines Erachtens gibt es mindestens eine weitere Art von Begriff, die beachtet werden muß, und zwar Begriffe, die wir teilen, obwohl wir uns hinsichtlich ihrer Anwendung nicht auf ein Entscheidungsverfahren einigen können: interpretative Begriffe.
 4 Wie ich bereits bemerkt habe, teilen zwei Menschen einen solchen Begriff nicht dann, wenn sie sich, insofern alle relevanten Tatsachen bekannt sind, darüber einig sind, wie er anzuwenden ist, sondern dann, wenn sie darin übereinstimmen, daß die richtige Anwendung jenes Begriffs von der besten Interpretation der Praktiken abhängt, in denen er zum Tragen kommt. Lassen Sie mich diesen Gedanken nun näher ausführen.
    274 Interpretative Begriffe
    Paradigmen
    Wir nehmen gemeinsam an sozialen Praktiken teil, in deren Rahmen wir bestimmte Begriffe verwenden, um einen Wert oder Unwert zu bezeichnen, ohne darin übereinzustimmen, um welchen Wert es sich dabei handelt und wie man ihn genau fassen kann. Denken Sie hier zum Beispiel an Gerechtigkeit und andere moralische Begriffe. Wir sind uns zwar – mehr oder weniger – darüber einig, daß wir es in diesen Fällen mit einem Wert zu tun haben, nicht aber darüber, wie er genau beschaffen ist. Was eine Handlung gerecht oder ungerecht beziehungsweise richtig oder falsch macht oder wieso es sich bei etwas um einen Eingriff in die

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