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Gerron - Lewinsky, C: Gerron

Titel: Gerron - Lewinsky, C: Gerron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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heißen im Gloria Palast. «Ausgerechnet der Gerron hat den Film gedreht.» Auf die Schenkel werden sie sich schlagen und mit ihren Stiefeln auf den Boden trampeln. Sie tragen jetzt alle Stiefel.
    Auslegeordnung:
    Rahm will, dass ich einen Film über Theresienstadt drehe. Nicht über das Theresienstadt, in dem ich eingesperrt bin. Über das Theresienstadt, das sie der Welt zeigen wollen. So wie sie es dem Roten Kreuz vorgeführt haben. Einen glücklichen Film aus einer glücklichen Stadt. Wo die Leute ins Kaffeehaus gehen. Sport treiben. Die wunderschöne Landschaft genießen. Wo sie am Morgen fröhlich zur Arbeit marschieren – Heiho, heiho, wir sind vergnügt und froh – und am Abend den wohlverdienten Feiertag genießen.
    Eine Stadt, wo nicht jeden Tag Karren mit verhungerten alten Leuten durch die Straßen geschoben werden.
    Zu diesem Film soll ich das Drehbuch schreiben. Bei diesem Film soll ich Regie führen.
    Heiho, heiho.
    Rahm hat mir keine Gegenleistung versprochen. Aber einen Film dreht man nicht im Zug nach Auschwitz. Solang ich daran arbeite, bin ich sicher.
    Das ist die eine Seite.
    Die andere: Wer Pech anfasst, besudelt sich.
    Sie haben meine Eltern nach Sobibor geschickt. Und jetzt soll ich ihnen helfen, der Welt vorzulügen, dass sie eigentlich ganz nett zu uns sind? «Das lächelnde Gesicht von Theresienstadt.» Rahms eigene Worte. Das lächelnde Gesicht des Hungers und der Krankheit und des Todes.
    Regie: Kurt Gerron.
    Was wäre ich für ein Mensch, wenn ich das täte?
    Ein Mensch, der nicht nach Auschwitz geschickt wird.
    Ein Mensch, der es verdient hätte, nach Auschwitz geschickt zu werden.
    Beten müsste man können. Einen Gott müsste es geben, den man fragen kann.
    Nur: Es gibt keinen Gott. Einen lieben schon gar nicht.
     
    Als Kind habe ich mir Gott vorgestellt wie unseren Oberstudiendirektor. Mit genau so einem Vollbart, der das halbe Gesicht verdeckt. Schmierenschauspieler kleben sich gern eine Matratze ins Gesicht. In der Hoffnung, damit imposanter zu wirken. Der Gott, zu dem sie da beten, ist ein Knattermime. So stolz auf seine Hauptrolle, dass er nicht merkt, in was für einem Scheißstück er auftritt. Den Applaus, samt Blumensträußen und Lorbeerkränzen, hat er sich gleich selber ins Drehbuch geschrieben. Wir loben Dich, wir loben Dich, Halleluja, Halleluja, Hosianna.
    Tiefste Provinz.
    Ist auch noch stolz darauf, das Stück selber geschrieben zu haben. Allwissend, allmächtig, allgütig. Ein Theaterdirektor, der solche Superlative in seine Anzeigen setzt, steht kurz vor der Pleite. Muss den Leuten schon nachrennen, damit sie ihm gnädig ein paar Freikarten abnehmen. Die Sensation der Saison! Großerfolg in allen Hauptstädten! Das muss man gesehen haben!
    Nein, muss man nicht. Weil es im Welttheater gar keinen Zuschauerraum gibt. Die Plätze sind alle auf der Bühne. Man wird zum Mitspielen gezwungen und soll dafür auch noch dankbar sein. Wenn man sich über seine Rolle beschwert, heißt es nur: «Selber schuld. Du hättest halt mehr daraus machen müssen.»
    Die übliche Ausrede, wenn ein Stück nicht funktioniert. Der Brecht hat das bei Happy End auch zu mir gesagt.
    Aber geschickt organisiert ist die Sache. Die Leute von der Bühnengenossenschaft tragen Beffchen und Talar und stehen immer auf Seiten der Direktion. Der Normalvertrag ist in Latein oder Hebräisch abgefasst, und man hat ihn schon unterschrieben, bevor man lesen lernt.
    Dabei hat der Herr mit dem Vollbart die einfachsten Regeln des Theaters nicht kapiert. Ein Stück wird nicht besser, nur weil Haufen von Leichen auf der Bühne liegen. Man muss die Effekte sparsam setzen, sonst stumpft das Publikum ab. Bassermann, den hätte man als Herrgott besetzen müssen. Der hätte aus der Rolle was gemacht. Vier Akte lang mit angezogener Handbremse spielen und dann im fünften einmal kurz laut werden. So verdient man sich den Iffland-Ring.
    Aber er: von der ersten Szene an immer nur brüllen. Donner, Blitz und brennende Dornbüsche. Ein fauler Effekt nach dem andern. Immer noch ein Krieg, noch eine Seuche, noch ein Pogrom. Und dafür will er geliebt werden. Kein Wunder, dass er sich hinter einem Rauschebart versteckt. Sich jedes exotische Kostüm überzieht, das sich im Fundus auftreiben lässt. Jehova, Allah, Buddha.
    Hilft alles nichts. Provinz bleibt Provinz.
    Aber: Unter den Leuten, die jeden Tag so eifrig die uralten Gebete aufsagen, müssen auch ein paar sein, die tatsächlich an ihn glauben.Die vom tieferen Sinn des

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