Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
Vom Netzwerk:
stapelten sich Kisten.
    Marcas kann das immer besser, dachte er. Noch vor ein paar Wochen hätte er ihm solche Bilder nicht zeigen können.
    Seine Gedanken kehrten zurück zu dem Kummerkraut. Die Gläubigen mussten es anbauen, wahrscheinlich versteckt zwischen Getreide, aber was wollten sie damit?
    Ist es wirklich tödlich?
    »Ja.« Peddyr nickte. Er erinnerte sich, dass sein Vater es ihm einmal aus der Hand geschlagen hatte, als er als kleiner Junge Kräuter am Wegesrand gepflückt hatte, um eine Ziege damit zu füttern.
    Willst du sie umbringen?, hatte er geschrien, dabei war Peddyr viel zu jung gewesen, um zu wissen, was für ein Kraut das war.
    Erinnere dich daran, was deine Mutter sagte. Marcas' Stimme erschien ihm auf einmal lauter als zuvor.
    Und dann stand die Erinnerung plötzlich klar in seinem Geist. Der heiße Sommertag, die Weiden, die mit einem Zaun vom Weg getrennt waren, das Summen der Insekten in der Luft, die Kräuter, die verstreut am Boden lagen, und seine schmerzende Hand, alles sah er so deutlich, als wäre es eben erst geschehen. Seine Mutter hielt seine Schwestern bei den Flügeln.
    »Nimm doch etwas davon mit«, sagte sie. »Ich koche es heute Abend, damit die Kinder endlich mal tun, was wir wollen.«
    Sein Vater lachte.
    Peddyr blinzelte, und die Erinnerung verschwand. Marcas hockte nun dicht vor ihm. Mit den Tentakeln berührte er seine Hände.
    Die Bilder waren in deinem Kopf, aber du wusstest nichts mehr davon.
    Peddyr wich unwillkürlich zurück. Einen Moment lang wurde ihm Marcas unheimlich, aber er schüttelte das Gefühl ab.
    »Wenn das stimmt, was meine Mutter sagte, machen die Gläubigen die Kinder mit diesem Kraut gefügig, damit sie ihnen gehorchen.«
    Und auch dem Schattenlord dienen, wenn sie alt genug sind. Marcas schob die Kiste angewidert zur Seite. Wem erzählen wir das?
    Cedric, war Peddyrs erster Gedanke, aber er sprach ihn nicht aus. Ihm kam eine andere, bessere Idee.
    »Wir erzählen das niemandem«, sagte er. »Wir suchen Duibhin und Ciar, und dann gehen wir zu der Höhle und befreien die Kinder.« Marcas schwieg, aber Peddyr spürte seine Zweifel. »Bricius und die anderen werden sehen, dass wir doch zu etwas taugen. Ich kann damit alles wiedergutmachen.« Er grinste. »Wir müssen die Kinder nur davon abhalten, dieses Zeug zu essen, dann werden die Gläubigen sie nicht aufhalten können. Wir kriegen das hin, da bin ich mir ganz sicher.«
    In seiner Vorstellung sah er, wie Bricius ihm stolz die Hand auf die Schulter legte.
    »Wirst du mir helfen?«
    Marcas zögerte nicht. Du bist mein Freund. Ich helfe dir.
    »Du wirst sehen, wir werden Helden sein. Wenn wir die Kinder zurückbringen, wird uns keiner mehr anspucken oder die Straßenseite wechseln. Sie werden sich dafür schämen, wie sie uns behandelt haben.«
    Ihm war noch nie zuvor so klar geworden, wie sehr er sich das wünschte, aber nun, da die Gelegenheit zum Greifen nahe erschien, konnte er auf einmal an nichts anderes mehr denken.
    Marcas zog plötzlich seine Tentakel zusammen und stieß scharf die Luft aus.
    »Was ist denn?«, fragte Peddyr.
    Nichts. Seine Tentakel entspannten sich ein wenig. Erzähl mir mehr davon, wie es sein wird. Ich will es in deinem Kopf sehen.
    Peddyr kam seiner Bitte nach, aber während sie dort saßen und er redete, wurde er das Gefühl nicht los, dass Marcas Schmerzen hatte.
    Etwas stimmt nicht mit ihm, dachte er.

15.
    Der Herr ist kein Hirte
     
    »Gläubige, wohin man blickt«, sagte Rimmzahn. Er zog sich die Kapuze seines weißen Gewands über und schloss die Tür seiner Hütte hinter sich. Die wabernde Gestalt an seiner Seite bemerkte er kaum noch. Wie ein Schatten schmiegte sie sich an ihn. Wenn es still war, hörte er ihr leises Flüstern und sog die Weisheit auf, die darin lag. Wie er ohne sie hatte leben können, verstand er schon lange nicht mehr. Mit dem Schattenelfen an seiner Seite war er vollkommen, ohne ihn ein Nichts.
    »Darf ich dich heute Morgen ein Stück begleiten, Herr?«
    Rimmzahn drehte den Kopf. Frans trat unterwürfig neben ihn, die Hände ineinander verschränkt, als wolle er beten. Andere Gläubige waren auf die Knie gesunken. Die Morgenandacht war vorüber, aber sie ließen es sich nicht nehmen, ihn weiter zu preisen.
    Rührend, dachte Rimmzahn. Dann beantwortete er die Frage: »Heute nicht, mein Sohn.«
    Frans wirkte enttäuscht, nickte dann aber schweigend und zog sich in die Menge zurück. Es war ein Privileg, den Propheten bei seinem Morgenspaziergang

Weitere Kostenlose Bücher