Geschöpfe Der Ewigkeit
der Speer des Longinus neben Landulf in der Mitte des Pentagramms befindet. Merkwürdig, daß ich dies nicht gleich gesehen habe, sondern es erst jetzt bemerke, denn ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen, seitdem ich den Abstieg von der Klippe begonnen habe. Aber diese Tatsache verunsichert mich weniger als das Mädchen unter mir. Sie ist diejenige, die mir geholfen hat, als ich sie und ihre Freundinnen von dem Karren befreite. Wie das andere Mädchen, das in der Schwarzen Messe geopfert wurde, trägt sie ein weißes Gewand. Ihr Gesicht ist von Schrecken gekennzeichnet. Doch bis auf uns drei scheint sich niemand in der näheren Umgebung aufzuhalten. Ich steige leise weitere dreißig Fuß hinab und starre dabei unablässig auf Landulfs Rücken. Ich weiß, daß er es ist, obwohl ich ihn nur von hinten sehe. Das Mädchen entdeckt mich, und ich bedeute ihr, zu schweigen. In ihren Augen spiegelt sich unvermittelt Hoffnung, und ich frage mich, ob das ein Nachteil ist. Es scheint alles zu einfach zu gehen.
Dann bleibe ich unvermittelt stehen. Der Anblick, der sich mir bietet, verursacht mir entsetzliche Übelkeit.
Nicht weit von dem angeketteten Mädchen liegt die Herzogin Cia.
Das Herz ist ihr aus der Brust herausgeschnitten worden.
Jetzt weiß ich, was Landulf in den Händen hält.
Noch immer sitzt er mit dem Rücken zur mir. Offensichtlich wehrlos.
»Es war notwendig, Sita«, sagt er.
Ich bin fassungslos, daß er meine Ankunft bemerkt hat.
»Warum?« frage ich.
Er blickt über die Schulter zurück.
»Weil ich das große Opfer erbringen mußte.«
»Um welches Ziel zu erreichen?« frage ich weiter.
»Um dich hierherzuführen, an genau diesen Ort.«
Ich schnaube. »Ich selbst wollte diesen Ort erreichen, weil es mir wichtig war.
Keiner Eurer Dämonen hat mich hergeführt.«
Er erhebt sich und starrt mich an. Noch immer tropft Blut aus dem Herzen seiner Frau, das er in Händen hält. Seine Augen sind dunkel. »Glaub, was du glauben willst«, entgegnet er ruhig.
Ich weise auf das Mädchen. »Warum ist sie hier?«
»Deinetwegen. Für die nächste Stufe deiner Initiation.«
Ich weise auf meine Ohren. »Ich höre sehr gut. Wir drei sind die einzigen Menschen auf dieser Klippe. Nicht, daß das von Bedeutung wäre. Ihr würdet eine ganze Armee brauchen, um Euch vor dem zu schützen, was ich jetzt gleich mit Euch vorhabe.«
Mit dem Herzen in seiner Hand weist er auf den Kreis. »Du sagst, daß deine Ohren hervorragend seien. Aber was ist mit deinen Augen. Kannst du nicht sehen, gegen was du dich auflehnst?«
Jetzt, wo er es erwähnt, spüre ich eine ungewöhnliche Schwingung in der Luft. Es ist, als ob wir von einem Schwarm Insekten umgeben wären, der jedoch kein Geräusch verursacht. Es ist ein psychologisches Hilfsmittel, dessen Landulf sich bedient. Plötzlich habe ich das Gefühl, als ob etwas Faules meine Haut berühre. Ich will es wegwischen, aber dann halte ich inne. Ich darf vor Landulf keine Schwäche zeigen! Doch längst hat sich ein leichter Anflug von Furcht in meinen Geist geschlichen und beginnt mein Gehirn förmlich einzuspinnen.
Trotzdem glaube ich noch immer, die Oberhand zu haben. Ich bin ein uralter Vampir von unvorstellbarer Stärke. Er aber ist bloß ein Mensch. Und er hält noch nicht einmal den Speer in Händen, um sich zu beschützen.
Ich trete auf den steinernen Kreis zu und pralle gegen ein Hindernis.
Es ist unsichtbar, aber deutlich spürbar. Eine Wand.
Oder eine magnetische Barriere, die jedem körperlichen Kontakt widersteht.
Ich schlage mit der geballten Faust dagegen – ergebnislos.
Landulf grinst mich aus dem Inneren des Zirkels an.
»Um hier eintreten zu dürfen, mußt du zuerst einen Unschuldigen opfern.«
Das Mädchen hinter mir schluchzt auf. Doch mit einer Handbewegung bringe ich es zum Schweigen.
»Das wird niemals geschehen«, sage ich, während ich langsam den Perimeter des steinernen Kreises absuche, um einen Schwachpunkt zu finden. Aber das Kräftefeld ist überall gleich stark, und ich bin nach wie vor mehr als erstaunt, daß es überhaupt existiert. Meine Erinnerungen an die Zukunft sind zurückgekehrt, deutlicher als zuvor. Ich muß mich fragen, ob das Schutzschild außerirdischen Ursprungs ist. Das letztemal, als ich Landulf hier gegenüberstand, habe ich seine Frau als Schild benutzt. Doch dies ist die erste Szene, die sich vollkommen anders abspielt als damals. Daran erkenne ich, daß ich die Zeitreise letztendlich gemacht habe, um diesen Moment zu
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