Geschöpfe Der Ewigkeit
die nächsten Minuten ruhig.«
Der Draht gleitet ins Schloß, und ich taste ein wenig darin herum, um ein Gespür für seine Machart zu bekommen. Mein Geist ist jetzt wieder hellwach.
Die Traumata der letzten Stunden habe ich verdrängt, so daß ich mich nun vollständig auf das Schloß konzentrieren kann. Es dauert nicht lang, bis ich erkenne, wie es konstruiert ist. Jetzt weiß ich genau, was ich mit dem Draht zu tun habe.
Ein Klicken ertönt, und das Schloß springt auf.
Ich schiebe die Ketten von mir. Meine Füße sind frei!
»Meine Dame!« Dante jubiliert.
»Still! Ich bin noch nicht fertig.«
Er keucht. »O ja, aber beeilt Euch. Ich kann so nicht länger atmen.«
Jetzt kommt der schwierigste Teil. Ich kann meine gefesselten Hände nicht nah genug ans Gesicht bringen, damit ich den Draht zwischen die Zähne nehmen könnte, vorausgesetzt, letzteres würde mir gelingen. Nein, ich muß meinen rechten Fuß in eine vollkommen unnatürliche Höhe heben, um das Schloß um mein linkes Handgelenk auf diese Weise zu bearbeiten. Meine Muskeln sind so steif, daß es mir ganz besonders schwerfällt, doch ich schmecke schon die Freiheit, und das gibt mir Kraft.
Ich halte den Draht fest zwischen den Zehen und ziehe das Bein mit Gewalt nach oben.
Ein entsetzlicher Schmerz fährt durch meine gequälten Muskeln.
Ich schaffe es nicht, das Schloß zu erreichen. Ich muß es ein dutzendmal versuchen, bis ich nur mit dem Fuß in seine Nähe komme. Aber mit der Zeit werden meine Gliedmaßen ein wenig lockerer, und schließlich gelingt es mir tatsächlich, den Draht in das Schloß an meinem linken Handgelenk einzuführen.
Da ich den Mechanismus jetzt kenne, dauert es nicht lange, bis meine linke Hand frei ist. Mit ihr greife ich nun den Draht und habe Sekunden später auch das Schloß an meinem rechten Handgelenk geöffnet. Ich dehne mich ein wenig, um wieder beweglich zu werden. Dann fällt mir auf, daß Dante rapide abgebaut hat. Er erkennt nicht einmal mehr, daß ich frei bin. Ich trete neben ihn und streiche ihm über den Kopf. Er blickt auf, ohne mich zu sehen, und lächelt in die Dunkelheit.
»Sind wir in Sicherheit?« fragt er.
»Beinah«, antworte ich und öffne seine Schlösser mit dem Draht. Aber seine Arme gehen nicht wieder in ihre natürliche Position zurück, so sehr hat sich sein Körper unter dem Martyrium verkrampft. Ich ziehe sie nach unten, und der Schmerz läßt ihn aufschluchzen. Er birgt sein Gesicht an meiner Brust, und ich halte ihn. »Dante«, sage ich, »wir waren die längste Zeit in diesem Verlies.«
Er läßt mich los, aber er ist hilflos in der Dunkelheit, und ohne seine Beinschiene kann er nicht stehen. »Wo ist mein Holzbein?« fragt er. »Werde ich auch jetzt noch damit gehen können?«
»Deine Schiene ist unbeschädigt, wie ich es dir versprochen habe.« Ich schnalle ihm das Hilfsmittel um und zucke zusammen, als ich sein verbranntes Fleisch rieche. Ich greife seine linke Hand und betrachte die Wunden. Landulf hat nicht nur das kranke Gewebe verbrannt, sondern auch jede Menge gesundes Gewebe zerstört. Später, wenn wir ein wenig mehr Zeit haben, werde ich ein paar Tropfen meines Blutes auf seine Wunden spritzen, damit er nicht mehr so entsetzlich leiden muß.
»Es ist besser, wenn Ihr mich nicht berührt, Herrin«, sagt Dante beschämt.
Ich drücke tröstend seinen Arm. »Du bist mein Held. Warum sollte ich dich nicht anfassen?«
Einen Moment lang wirkt er glücklich, aber mir entgeht nicht, daß der Tod schon auf ihn wartet.
»Meine Dame«, keucht er, während er weiterhin krampfhaft versucht, Luft zu bekommen. Das Atmen fällt ihm noch immer entsetzlich schwer, obwohl ich seine Ketten gelöst habe. »Ich kenne ein Geheimnis, von dem möglicherweise noch nicht einmal der Herzog etwas weiß.« Er betastet die Wand hinter seinem Kopf. »Es gibt einen Weg, der hier heraus führt. Er führt unter der Wand entlang und geradewegs in die Wälder.«
»Können wir diesen Weg von dem Tunnel vor der Zellentür aus erreichen?«
»Ja, das können wir. Aber wie sollen wir bloß die Tür öffnen?«
Gute Frage. Nachdem ich sie mir angesehen habe, weiß ich, daß sie aus der gleichen Metallegierung ist wie die Ketten und Schlösser. Ich kann die Stäbe also nicht zerbrechen. Aber habe ich mich nicht schon einmal in genau demselben Dilemma befunden? Immer noch bin ich mir dumpf der Zukunft bewußt, obwohl ich sie alles andere als klar sehe. Ein paar Sekunden lang kann ich mich nicht daran
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