Geständnis
anderen Seite der Scheibe, gesprochen
wird über Telefon. An einem Ende sind drei Kabinen für
Anwaltsbesuche reserviert. Auch sie sind durch Glas getrennt,
gesprochen wird ebenfalls über Telefon.
In den ersten Jahren war Donte immer aufgeregt gewesen, wenn
er Robbie Flak in der schmalen Nische auf der anderen Seite der
Scheibe hatte sitzen sehen. Robbie war sein Anwalt, sein Freund,
sein furchtloser Verteidiger, er war derjenige, der dieses
unfassbare Unrecht zurechtrücken würde. Robbie kämpfte mit harten
Bandagen und drohte allen, die seinem Mandanten übel wollten, mit
dem Feuer der Hölle. Viele Verurteilte hatten schlechte Anwälte
oder gar keine. Ihre Berufungs- und Revisionsverfahren waren zu
Ende, das Justizsystem hatte mit ihnen abgeschlossen. Draußen war
niemand mehr, der sich für sie einsetzte. Doch Donte hatte Mr.
Robbie Flak, und er wusste, dass sein Anwalt jeden Tag an ihn
dachte und nach neuen Wegen suchte, um ihn
freizubekommen.
Nach acht Jahren in der Todeszelle aber hatte Donte die
Hoffnung aufgegeben. Dabei hatte er seinen Glauben an Robbie nicht
verloren, es war ihm nur einfach bewusstgeworden, dass das
texanische Gerichtswesen am längeren Hebel saß. Wenn kein Wunder
geschah, würde das Unrecht seinen Lauf nehmen. Robbie hatte zwar
versprochen, dass sie bis zum Ende weitere Anträge einreichen
würden, aber er war auch Realist.
Sie unterhielten sich über das Telefon, beide froh, den
anderen zu sehen. Robbie überbrachte Grüße von der ganzen
Drumm-Familie. Er hatte sie am Vorabend besucht und berichtete in
allen Einzelheiten. Donte hörte lächelnd zu, sagte aber wenig.
Seine Kommunikationsfähigkeit hatte ebenso wie alles andere an ihm
stark nachgelassen. Er war ein dünner, gebeugter alter Mann von
siebenundzwanzig Jahren und geistig am Ende. Er hatte sein
Zeitgefühl verloren, wusste nie, ob es Tag oder Nacht war, ließ oft
Mahlzeiten aus, vergaß, sich zu waschen oder seine tägliche
„Entspannungsstunde“ wahrzunehmen. Er weigerte sich, mit den
Wärtern zu sprechen, und hatte häufig Probleme, ihre einfachsten
Anordnungen zu verstehen. In gewisser Weise waren sie ihm
wohlgesinnt, weil sie wussten, dass er keine Bedrohung darstellte.
Manchmal schlief er achtzehn bis zwanzig Stunden am Tag, und wenn
er nicht schlief, war er unfähig, irgendetwas zu tun. Er hatte seit
Jahren nicht mehr trainiert. Er las nicht und schaffte nur noch
höchstens zwei Briefe in der Woche, an seine Familie und Robbie.
Die Briefe waren kurz, oft unzusammenhängend und voller
Rechtschreib- und Grammatikfehler, die Schrift kaum zu entziffern.
Ein Brief von Donte war keine angenehme Überraschung.
Dr. Kristi Hinze hatte Hunderte der Briefe, die er in den acht
Jahren in der Todeszelle geschrieben hatte, gelesen und analysiert.
Für sie stand längst fest, dass die Isolationshaft bei ihm zu
massivem Realitätsverlust geführt hatte. Er war depressiv,
lethargisch, wahnhaft, paranoid, schizophren und suizidgefährdet.
Er hörte Stimmen, die seines Vaters und seines Footballtrainers von
der Highschool. Bildhaft ausgedrückt, hatte sein Gehirn den Betrieb
eingestellt. Er war verrückt geworden.
Nachdem Robbie in wenigen Minuten zusammengefasst hatte, wo
sie mit den letzten Anträgen standen und welche Maßnahmen für die
folgenden beiden Tage noch geplant waren, stellte er Donte Dr.
Hinze vor. Sie nahm ihm gegenüber Platz, griff zum Hörer und sagte
Hallo. Robbie stand hinter ihr, seinen gelben Notizblock und einen
Stift in der Hand. Eine Stunde lang stellte sie Fragen über Dontes
Tagesablauf, seine Gewohnheiten, Träume, Gedanken, Wünsche und
Gefühle, wenn er an den Tod dachte. Er überraschte sie mit der
Bemerkung, dass, seit er in der Todeszelle sitze,
zweihundertdreizehn Männer hingerichtet worden seien. Robbie
bestätigte die Zahl. Sonst aber gab es keine Überraschungen, nichts
Unerwartetes. Dr. Hinze befragte ihn ausführlich, wollte wissen,
warum er seiner Meinung nach im Gefängnis sei und warum er
hingerichtet werden solle. Er wisse es nicht, antwortete er, er
begreife einfach nicht, warum man ihm das antue. Ja, er sei sicher,
dass er hingerichtet werde. Denken Sie doch an die anderen
zweihundertdreizehn.
Eine Stunde genügte Dr. Hinze. Sie reichte Robbie den Hörer,
und er setzte sich, um über den bevorstehenden Donnerstag zu
sprechen. Er erzählte, dass Roberta entschlossen sei, der
Hinrichtung beizuwohnen, und das brachte Donte aus der Fassung. Er
fing an zu weinen und legte den Hörer weg,
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