Gestern, heute - jetzt
zog damit Etiennes Blick auf sich. Er war ja durchaus gewillt, gewisse Dinge für Maracey zu tun, aber eben nicht alles. Setz mich bloß nicht unter Druck. Er hielt Etiennes Blick mühelos stand. Ich bin hier und spiele das Spiel so, wie du es willst, aber ich kann nicht für die Folgen garantieren, wenn du mich unter Druck setzt.
Etienne schien die stumme Botschaft verstanden zu haben. Er wandte sich wieder Simone zu, die er nun schon wesentlich respektvoller und vorsichtiger betrachtete. Er tat gut daran. „Mein Sohn überrascht mich ständig aufs Neue.“
„Wirklich?“ Simones Gesichtsausdruck wurde sanfter, als sie zu Rafael hinüberschaute. „Wie traurig. Aber wenn Sie ihn als Kind anerkannt hätten, dann wäre er nicht der Mann, der er heute ist. Und das wäre eine Schande.“
„Sie haben Ihre Mutter nie kennengelernt, nicht wahr?“, fragte der König. „Eine wunderschöne Frau und so scharfsinnig. Natürlich unglaublich loyal gegenüber Ihrem Vater. Ihm absolut ebenbürtig und vollkommen unnachgiebig, wenn es galt, ihn zu verteidigen. Eine wertvolle Verbündete. Eine gefährliche Feindin. Sie erinnern mich an sie.“
„Vielen Dank. Das fasse ich als Kompliment auf.“ Simones höfliches Lächeln verblasste kein bisschen. Rafael trat sofort näher an sie heran, denn instinktiv wollte er sie beschützen.
„Das sollten Sie auch“, entgegnete Etienne. „Ich hoffe doch sehr, dass wir keine Feinde werden, Mademoiselle .“
„Das hoffe ich auch, Euer Hoheit.“ Simone schenkte ihm ein besonders reizendes Lächeln. „Früher haben Sie Simone zu mir gesagt.“
„Und Sie zu mir Etienne.“
„Wollen wir es noch mal damit versuchen?“, fragte sie. „Um des Friedens und um der Schuld willen, die Sie gegenüber Ihrem Sohn und diesem ungeborenen Kind tragen?“
„Das ist ein ganz schöner Trumpf, den Sie da ausspielen“, erwiderte Etienne nach einer Weile nachdenklichen Schweigens.
„Ich weiß“, versetzte Simone. „Brillant, nicht wahr? Und ich werde ihn sicherlich noch weitere Male ausspielen. Jemand muss sich ja um Rafaels Interessen kümmern. Er tendiert sehr stark dazu, die Belange anderer immer vor seine eigenen Bedürfnisse zu stellen. Nicht, dass er das jemals zugeben würde.“ Ein weiteres Lächeln, verschmitzt diesmal und nur für Rafe bestimmt. „Gibt es hier irgendwo eine Terrasse, auf der wir unseren Aperitif einnehmen können? Ich wäre gerne draußen, um die frische Luft auf meiner Haut zu spüren und die Sonne auf meinem Rücken, während wir zusehen, wie sich die Abenddämmerung über das Tal senkt. Das hier ist so ein schöner Ort, und es ist ein wundervoller Abend.“
Das ist es tatsächlich, dachte Rafael.
Man hatte über Harmonie gesprochen, hatte sie hergestellt, und nun herrschte sie uneingeschränkt.
Diplomatie nach Art des Hauses Duvalier.
Das Dinner verlief gut. Das Essen war hervorragend, das Personal unaufdringlich und diskret, die Gesellschaft äußerst angenehm, nachdem die Grenzen einmal deutlich aufgezeigt worden waren. Etienne war der geborene Diplomat, und Simone verfügte ebenfalls über außergewöhnliche Fähigkeiten in dieser Hinsicht. Gemeinsam bemühten sie sich, Rafael dazu zu bringen, aus sich herauszugehen und ihm immer mal wieder ein Lächeln zu entlocken. Manchmal forderte Rafe den König ganz bewusst heraus, indem er einen gegensätzlichen Standpunkt in gewissen Dingen vertrat. Allerdings verriet er dabei nie so genau, was er wirklich dachte.
Kein Wunder, dass Etiennes Staatsmänner in Panik verfielen, dachte Simone. Wenn sie halbwegs klug waren, dann dämmerte ihnen, wie intelligent und kompetent Rafael war. Außerdem täten sie gut daran, zu erkennen, dass er sich niemals zu ihrer Marionette machen lassen würde. Ob Etienne bewusst war, welches Potenzial in dem Sohn steckte, den er endlich anerkannt hatte?
Während sie dem Gespräch sehr genau folgte und die beiden beobachtete, bemerkte sie, dass es der König sehr wohl wusste. Etienne war völlig klar, was für einen starken und klugen Politiker Rafael abgeben würde. Ihre Beziehung war eine merkwürdige Mixtur aus der Steifheit, die zwischen Fremden herrschte, und der Entschlossenheit des Königs, Rafaels Reserviertheit aufzubrechen.
Eine Vater-Sohn-Beziehung zwischen den beiden aufzubauen würde Zeit brauchen, doch völlig unmöglich war es nicht. Rafe hatte seinen Schutzschild gesenkt, egal wie sehr er sich bemühte, diese Tatsache zu verschleiern. Simone kannte ihn zu gut. Sie
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