Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
warf ihre Handtasche auf den Küchentisch, ein roter Filzstift kullerte heraus.
»Karina, also wirklich, du hast alles nass gemacht!«, tönte Irmi vorwurfsvoll. Sie hielt eine Fliegenklatsche in der Hand. Die Klatsche bebte. Seifferheld war sich gar nicht so sicher, ob sie nicht jeden Moment einer zweckentfremdeten Anwendung zugeführt werden sollte.
»Echt? Sorry. Wisch ich später trocken. Jetzt muss ich den Kleinen füttern.« Karina war völlig angstfrei. Der Kleine, der ins Blickfeld rückte, als Karina den Umhang von sich warf, schlief tief und fest und war sichtlich satt. Aber da war Karina schon die Treppe nach oben entschwunden.
Irmi sah ihren Bruder nur an.
Mit diesem Generalissimo-Blick.
Seifferheld seufzte, schnappte sich Besen und Putztuch und wischte den Flur erneut auf, wobei er sehr darauf achtete, auch etwaige Splitter zu erwischen.
Vorerst kein Saitenwürstle für Onis.
Der Hund wollte sich räuspern und zu einer Elegie ansetzen, aber da traf ihn Irmis Blick.
Er nahm seinen rosa Teddy ins Maul und trollte sich zu seinem angestammten Platz unter dem Küchentisch.
2. Akt
1. Szene
(Donnerstagmorgen, Treppe von St. Michael, Nebel, enorm dichter Nebel)
Aus dem Polizeibericht
Im Schatten der Comburg, genauer gesagt Im Stöckle, haben Unbekannte in der Nacht zum Mittwoch einen 17 Jahre alten Apfelbaum abgesägt und ihn in mühevoller Kleinarbeit zu Pellets zerlegt, die sie anschließend – der Krümelspur aus dem Märchen ähnelnd – bis zur Comburg auslegten, wo sie ein volles Glas Apfelkompott hinterließen. Personen, die Hinweise zu den Tätern geben können, werden gebeten, sich mit dem nächsten Polizeirevier in Verbindung zu setzen.
Harte Arbeit hat noch nie jemanden umgebracht. Aber warum das Risiko eingehen? (Edgar Bergen)
Morgennebel im Kochertal.
Wabernde graue Schwaden in den mittelalterlichen Gassen von Schwäbisch Hall. Eine regelrechte Nebelwand, die die Häuser nur schemenhaft erahnen ließ. Alles klang gedämpft, auch die Schritte, die sich näherten und die Jack the Ripper ankündigen konnten oder doch nur die Zeitungsausträgerin. Ein veritables Nebeldampfbad, wie es einen Meistervampir umhüllen konnte – undurchdringlich, unheilvoll, beängstigend.
So konnte man es sehen, musste man aber nicht. Seifferheld zum Beispiel sah in dem Nebel nur ein Aerosol, bei dem Wassertröpfchen durch Kondensation des Wassers der feuchten und gesättigten Luft entstanden waren. Und die Schritte gehörten folglich auch nur der Zeitungsausträgerin. In seiner Welt war nicht viel Platz für das Geheimnisvolle. Und man sieht ja immer bloß das, was man glaubt.
Völlig gelassen erklommen daher er und Onis die Steigung vom unteren Ende des Hafenmarkts zum Marktplatz. Die Pflastersteine konnten im feuchten Nebel tückisch glatt werden, da musste man als Hüftversehrter Vorsicht walten lassen. Onis – mal wieder nicht angeleint – sprang auf seinen vier gesunden Beinen fröhlich voraus, bis er im Nebel nicht mehr zu sehen war.
»Hund!«, rief Seifferheld.
Aber nicht einmal die feinen Hundeohren hätten seinen Ruf jetzt noch hören können, denn in diesem Moment setzten wieder die vollen Glocken von St. Michael ein. Nicht nur die Luft, auch die Häuser schienen unter dem Geläut zu vibrieren.
Seifferheld vertraute einfach darauf, dass sein Hund schon zu ihm zurückfinden würde.
Er lehnte sich an die Rathausmauer und genoss diesen Lieblingsmoment des Tages, auch wenn er um sich herum keine Kulisse sah, sondern nur Morgennebel. Marianne las ihm vor dem Einschlafen bisweilen etwas aus den Büchern vor, die sie gerade las, und letztens hatte sie aus einem Buch über die Briefe berühmter Menschen eine Stelle über Salvador Dalí vorgetragen. Dalí schrieb einmal, dass ihn jeden Morgen nach dem Aufwachen ein großes Glücksgefühl durchströme, wenn er zum ersten Mal an diesem Tag spüre, wie fabelhaft es doch sei, Salvador Dalí zu sein, und er sich frage, was für wunderbare Dinge dieser Salvador Dalí an diesem Tag vollbringen werde.
Ganz so war Seifferheld nicht zumute. Er freute sich zwar, er selbst sein zu dürfen, aber ein besonderes Glücksgefühl durchströmte ihn dabei nicht.
Ein letztes Nachhallen der Glocken, dann senkte sich wieder bleierne Stille über den Marktplatz.
»Onis!«, rief Seifferheld, jetzt schon nachdrücklicher.
Seit diesem dummen Zwischenfall mit dem blöden Polizeihund galt Onis als Gefahrhund und musste laut Vorschrift von einem lizenzierten
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