Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
Gefahrhundeführer grundsätzlich angeleint und mit Maulkorb geführt werden. Diese Maßnahme fand Seifferheld strunzdumm, zumal seinerzeit der Polizeihund der Aggressor gewesen war. Aber hin und wieder plagte ihn nun die Sorge, man könnte ihm wegen mangelnder Einhaltung von Ordnungsamtsvorschriften seinen Onis entziehen.
»Onis!«
»Ihr Hund ist hier bei mir«, rief eine Stimme. Sie kam von vorn, von den Stufen der Treppe von St. Michael.
Seifferheld hinkte mit seinem Gehstock quer über den Marktplatz.
»Hallo?«
»Hier oben.«
Oben traf es nicht ganz, Roger Reitz saß ungefähr auf der zwanzigsten Stufe, das war nicht einmal die Hälfte. Onis stand vor ihm, den Hundeschädel mal wieder tief in einen Männerschritt gerammt.
Das muss ich meinem Hund bei Gelegenheit abgewöhnen, dachte Seifferheld und erklomm verhalten ächzend Stufe um Stufe die Kirchentreppe.
»Guten Morgen, was machen Sie denn hier?«, fragte er schließlich atemlos und ließ sich schwer neben Reitz auf die nebelfeuchten Sandsteinstufen fallen.
Reitz atmete mehrmals tief die feuchte Morgenluft ein und intonierte dann: »Ich sauge die Atmosphäre in mich auf.«
Seifferheld nickte.
Und dachte: Schauspieler.
Die beiden Männer saßen Seite an Seite und starrten in den Nebel.
Onis schnaufte.
»Ich habe großen Respekt vor dieser Treppe. Sie ist … wie ein Brennglas. Keine normale Bühne, sondern ein einziger Fokus. Man darf sich hier nicht zurücklehnen, jedes Wort ist Arbeit. Jeder Schritt auch. Glücklicherweise bin ich schwindelfrei.« Eine Erklärung wie lange geprobt. In einem Fernsehinterview hätte man das ungeschnitten genau so senden können.
Seifferheld sagte nichts.
Onis hob kurz den Kopf, um nach Luft zu schnappen, dann versank seine Schnauze wieder zwischen den Beinen des Mimen.
»Ich habe sie geliebt.«
Seifferheld spitzte die Ohren.
»Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugetan. Erst wurde ich stundenlang verhört …«, bei ihm klang es so, als wäre er von mittelalterlichen Folterknechten einer Daumenschraubenbefragung unterzogen worden, »… und dann wälzte ich mich schlaflos im Bett, bis ich dachte, hat doch alles keinen Zweck. Darum bin ich hierhergekommen. Am Fuß einer achthundert Jahre alten Kirche wirkt plötzlich alles nicht mehr so wichtig. Im großen Ganzen der Zeit sind wir Menschen mit unserem Schicksal doch nur winzige, unbedeutende Ameisenscheiße.«
Dem konnte und wollte Seifferheld nicht widersprechen.
»Sie war ein ganz besonderer Mensch. Eine ganz besondere Kollegin. Ich …« Ihm brach die Stimme.
»Frau Wanetzki?«, entfuhr es Seifferheld, der eigentlich stumm hatte bleiben wollen.
Reitz sah ihn an. »Wer?«
»Biggi Wanetzki?«
»Nein! Salina Tressler!«
Reitz fing an, Onis hinter den Ohren zu kraulen. »Biggi war nur Trauerbewältigung.«
Seifferheld hoffte, dass der Geist von Biggi Wanetzki jetzt nicht gerade ruhelos in ihrer Nähe schwebte und auf Rache sann. Sollte sie vor Enttäuschung und Wut einen Minitornado produzieren, der Reitz von der Treppe fegte, wären er und Onis auch in Gefahr.
»Salina und ich hatten eine leidenschaftliche Affäre. Deswegen denken die Bullen, ich hätte sie umgebracht. Und Biggi auch gleich, weil die angeblich was gewusst hat. So ein Quatsch!«
Reitz atmete heftig. Quatsch hin oder her, es schien ihm nahezugehen.
Seifferheld blieb bei seiner Taktik: Schweigen.
»Salina war keine Heilige. Nein, das war sie nicht.« Reitz lachte. War es ein bitteres Lachen? Oder ein bewunderndes? »Nein, eine Heilige war sie weiß Gott nicht!«
Aha, keine Heilige. Seifferheld dachte sofort an mögliche Schweinereien, zu denen Salina Tressler bereit gewesen sein mochte. Ein wahr gewordener Männertraum?
»Und ja, sie hat mich erpresst.«
Seifferheld drehte sich nun doch zu Reitz um. »Erpresst?«
»Das ist nicht so schlimm, wie es sich anhört. Sie wollte ja nie viel Geld. Immer nur mal hier einen Fünfziger, da einen Hunderter. Und ich hab’s ihr gern gegeben. Schließlich hab ich’s ja. Bin seit zwei Jahren nicht mehr ohne Engagement gewesen! Keine einzige Arbeitsabbruchskante!«
Konnte man sich eine Erpressung schönreden?
»Es war nur so, dass meine Frau … also, meine Gerti … weiß, dass ich sie von Herzen liebe und mich nie von ihr trennen würde, aber wenn man so oft und so lange an einem anderen Ort auf der Bühne steht … man hat ja Bedürfnisse als Mann … Gerti weiß das und findet das auch völlig normal, wir führen gewissermaßen eine
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