Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
Empfindungen auszudrücken.
Doch Erik konnte sich anscheinend auch ohne anschauliche Schilderungen vorstellen, wie Mamma Carlottas Trauer um Marina aussehen würde. »Donata Zöllner ist keine Italienerin«, bemerkte er grinsend. »Vorher hat sie auf mich einen sehr beherrschten Eindruck gemacht.«
Mamma Carlotta ließ ihren Zorn über diese Anzüglichkeit an dem Rührei aus, das zischend und dampfend darum flehte, aus der Pfanne genommen zu werden. Aber es wurde gerührt und gerührt, bis es braun und trocken war und Erik darauf aufmerksam machte, dass er sein Rührei eigentlich hell und flockig liebte.
»Wenn man eine Freundin durch Mord verliert, ist es normal, dass man zusammenbricht. Signora Marinelli hat sogar ärztlichen Beistand gebraucht, als die Musiklehrerin ihres Sohnes beim Baden ertrank.«
Erik nickte ergeben und gab ihr recht. Aber Mamma Carlotta hatte das ungute Gefühl, dass er nur endlich sein Rührei haben wollte. Da klingelte es, Erik flüchtete zur Tür, und ein paar Minuten später stand Sören in der Küche.
»Buongiorno, Signora!«, begrüßte er Mamma Carlotta. Dann wandte er sich an seinen Chef. »Finden Sie nicht auch, dass Donata Zöllner gestern überzogen reagiert hat? Ein solches Theater wegen einer Frau, die sie seit fast vierzig Jahren nicht gesehen hat! Zu der sie nicht mal Kontakt gehabt hat! Man hätte meinen können, ein naher Angehöriger sei dahingerafft worden.«
Stille entstand. Sören sah Erik unsicher an, der wiederum beobachtete Mamma Carlotta, die mit funkelnden Augen neben dem Herd stand.
»Meine Schwiegermutter findet es normal«, erklärte Erik leise, »dass man einen Arzt braucht, wenn eine Frau stirbt, mit der man vor Jahrzehnten mal eine Ferienfreizeit verbracht hat.«
Mamma Carlotta ärgerte sich noch, als Erik und Sören sich zum Kommissariat nach Westerland aufgemacht hatten und die Kinder in der Schule waren. Schrecklich, diese gefühlsarmen Norddeutschen! Woher hatte Lucia eigentlich so genau gewusst, dass Erik in der Tiefe seiner Seele ein gefühlvoller Mensch war? Wie konnte sie so sicher sein, wenn er nie etwas sagte oder tat, was gefühlvolle Menschen zu sagen und zu tun pflegen? Mamma Carlotta klapperte mit dem Geschirr, als wollte sie es nicht spülen, sondern für Eriks Sünden büßen lassen. Beinahe hätte sie die Türklingel überhört.
Als sie dann sah, wer auf der Schwelle stand, war ihr Ärger schlagartig vergessen. »Signora Zöllner! Was für eine Freude!«
Sie zog Donata ins Haus, schob sie in die Küche und dirigierte sie zu einem Stuhl. Donata sah blass und mitgenommen aus, aber ihre Frisur war genauso perfekt wie am Vortag und ihre helle Sommerkleidung makellos. »Geht es Ihnen besser?«
Donata nickte, starrte auf ihre Hände und drehte ihr Armband ums linke Handgelenk. Es bestand aus einer Kette silberner Rechtecke, die durch farbige Stege miteinander verbunden waren. Ein Bettelarmband war es nicht, stellte Carlotta fest. Die silbernen Rechtecke waren alle gleich, die farbigen Stege auch. Insgeheim stellte sie fest, dass ihr das Bettelarmband, an dem kein Anhänger dem anderen glich, besser gefiel.
»Es tut mir leid, dass ich überreagiert habe«, sagte Donata leise.
Carlottas Augen funkelten. »Sie haben eine Freundin verloren. Und dann noch auf diese schreckliche Weise!«
»Ich frage mich, wer das getan haben könnte«, flüsterte Donata Zöllner. »Die ganze Nacht habe ich mich das gefragt.«
»Sie konnten nicht schlafen?« Mamma Carlotta setzte die Espressomaschine in Gang. »Und Sie haben keine Ahnung, wer Ihre alte Freundin getötet haben könnte?«
Donata sah Mamma Carlotta erschrocken an. »Wie kommen Sie darauf, dass ich das wissen könnte?« Ihre Stimme zitterte, Erik hätte vermutlich auch jetzt behauptet, Donatas Reaktion sei übertrieben.
Mamma Carlotta setzte ihr einen Espresso vor, der es in sich hatte. »Nein, nein, wie sollten Sie den Mörder kennen? Sie haben Ihre alte Freundin ja seit Ewigkeiten nicht gesehen. Es ist wirklich schrecklich, dass ausgerechnet jetzt, wo Sie ein Wiedersehen feiern wollten …« Ihre Stimme versagte, der Anblick der armen Donata, die noch immer ihr Armband ums Handgelenk drehte, tat ihr weh. »Ein schönes Armband«, sagte sie schließlich, weil sie plötzlich das Gefühl hatte, dass ekstatisches Mitleid nicht mehr gefragt war.
Donata nickte, ohne den Blick von dem Armband zu nehmen. »Mein Sohn hat es mir geschenkt«, sagte sie leise. »Ich trage es ständig, so habe ich
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