Gezeiten der Sehnsucht - Feehan, C: Gezeiten der Sehnsucht - Dangerous Tides (4 - Libby)
verträumten Schlafzimmerblick, dem er anscheinend einfach nicht widerstehen konnte und der ihm beim besten Willen nicht aus dem Kopf ging.
Sein Blick fiel auf ihr Haar. In seinen Träumen trug sie es immer offen, und es wirkte so sexy und vom Wind zerzaust, wie sie es während ihrer Schulzeit stets getragen hatte. Doch heute war es aus dem Gesicht zurückgekämmt und zu einer Art kompliziertem Knoten in ihrem Nacken geschlungen. Es schimmerte in einem tiefen, kräftigen Mitternachtsschwarz und war so seidig wie alles andere an ihr. Diese Frisur hätte eigentlich streng wirken sollen, doch sie unterstrich den zarten Knochenbau ihres klassischen Gesichts erst recht und brachte ihre makellose Haut noch besser zur Geltung. Er träumte selten, doch wenn er träumte, träumte er das Richtige. Obwohl sein Kopf dröhnte wie ein Presslufthammer und unablässige Schmerzen durch seinen Körper zuckten, nahm er die vertraute Erregung wahr, die seinen Körper immer dann befiel, wenn er an sie dachte.
Er hätte gern die Hand gehoben und ihr Gesicht berührt, nur ein einziges Mal über ihre Haut gestrichen, doch als er versuchte, seinen Kopf zu bewegen, legten die Presslufthämmer
wie besessen los und bohrten sich in seinen Schädel. Er hörte, wie durch seine zusammengebissenen Zähne ein Stöhnen entwich. Er schmeckte Blut in seinem Mund.
Ty erlaubte seinem Blick noch einmal über ihr Gesicht zu schweifen und wahrzunehmen, wie unglaublich konzentriert sie war, fast wie in einem Trancezustand. Seltsamerweise schien der Schmerz von seinem Bauch in seine Brust und in seine Schultern zu fließen und dann noch höher hinauf in seinen Kopf, bis er vor Schmerz schreien wollte. Libbys Gesicht verzog sich plötzlich zu einer Maske der Qual.
Der Schmerz in Tys Kopf war verschwunden, und ganz allmählich nahm er seine Umgebung wahr. Sein Traum hatte sich in einen Alptraum verwandelt. Er schien an einem Ort, den er nicht kannte, an Geräte angeschlossen zu sein. Sein Gehirn fühlte sich nicht mehr in undurchdringlichen Dunst gehüllt und langsam kehrte die Erinnerung zurück. Er hatte den jungen Madison von der Klippe geholt und etwas war schief gegangen. Er erinnerte sich wieder daran, dass er durch die Luft gestürzt war, aber das war unmöglich. Es würde nämlich bedeuten, dass sein Rettungsgurt versagt hatte. Ihre Ausrüstung ließ sie doch nicht einfach so im Stich. Er erinnerte sich an das Geräusch von zerschmetternden Knochen und auch daran, dass sein Schädel zerbröselt war wie eine verfaulte Kürbisschale. Es war qualvoll gewesen, und er dürfte sich eigentlich nicht daran erinnern können.
Ein leiser, kläglicher Laut zog seine Aufmerksamkeit auf sich, und als er den Kopf umdrehte, sah er Libby Drake, die vor ihm zurückwich. Er war nicht vollkommen sicher, ob sie real vorhanden war. Ihre Blicke trafen sich, und die Zeit schien langsamer zu vergehen, während sie sich anstarrten, bis er nur noch sie wahrnahm, in allen Einzelheiten. Vor allem ihr bleiches Gesicht. Kleine Schweißperlen schimmerten auf ihrer Haut. Ihre Hände zitterten, und sie lehnte sich an die Wand, um sich aufrecht zu halten. Sie sah unglaublich krank aus.
Libby presste sich eine Hand auf ihren aufgewühlten Magen und sah sich vollkommen verwirrt um. Wo war sie? Elle? Hannah? Helft mir. Sie wich einen weiteren Schritt zurück, fort von dem Krankenbett und sämtlichen Geräten. Jemand beobachtete sie aus stechend blauen Augen, die sie durchbohrten, und ihre Atemzüge waren abgehackt.
Geh zur Tür, Libby. Zur Tür. Elles Stimme war sehr ruhig. Du bist nicht allein. Ich werde auf jedem Schritt des Weges bei dir sein.
Libby hörte, dass ihre Schwestern aus weiter Ferne mit ihr redeten und ihr Mut zusprachen. Ihre Stimmen streiften behutsam ihren Geist. Wie eigenartig, dass sie sie nicht auseinander halten und auch nicht hören konnte, was sie sagten, mit Ausnahme von Elle.
Mir ist so kalt. Libby zitterte, als sie die Tür aufstieß und in den Korridor wankte. Sie sah sich um, konnte aber nicht erkennen, wo sie war. Ein Flur. Dort waren Menschen, von denen einige sie ansahen, während andere sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. Direkt vor der Tür, aus der sie auftauchte, stand ein Mann, der einen grauen Anzug trug. Er kam ihr vage bekannt vor, als müsste sie eigentlich wissen, wer er war. Jetzt vertrat er ihr den Weg, doch sie wich vor ihm zurück und hob eine zitternde Hand, um ihn abzuwehren. Er schien überrascht zu sein und trat einen
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