Ghost
glaubt. Und dieses Gefühl hatte ich gerade: das authentische Erlebnis, nicht in meinem Körper zu stecken. Ich hatte das Gefühl, als schaute ich mir von der Decke aus dabei zu, wie ich im Haus eines milliardenschweren Medienmoguls eine anscheinend entspannte Unterhaltung mit einem Staatsmann von Weltrang führte. Er gab sich die allergrößte Mühe, nett zu mir zu sein. Er brauchte mich. Wirklich zum Brüllen, dachte ich.
»Danke«, sagte ich. »Ich muss gestehen, dass ich noch nie mit einem Expremierminister gesprochen habe.«
»Tja«, sagte er lächelnd. »Und ich habe noch nie mit einem Geist gesprochen, dann sind wir also quitt. Sid Kroll behauptet, dass Sie der richtige Mann für den Job sind. Ruth meint das auch. Wie genau soll das Ganze jetzt ablaufen?«
»Ich werde Sie interviewen. Aus Ihren Antworten mache ich dann Prosa. Wo erforderlich, werde ich verbindende Passagen einbauen, wobei ich versuche, Ihre Stimme zu imitieren. Natürlich haben Sie hinterher die Möglichkeit zur Korrektur. Ich will Ihnen ja keine Worte in den Mund legen, die Sie nie benutzen würden.«
»Und wie lange dauert das?«
»Für ein umfangreiches Buch führe ich gewöhnlich fünfzig, sechzig Stunden lange Interviews. Dabei kommen etwa tausendsechshundert Seiten Text heraus, die ich dann etwa auf ein Viertel zusammenstreiche.«
»Aber das Manuskript haben wir doch schon.«
»Schon«, sagte ich. »Aber, ehrlich gesagt, zur Veröffentlichung ist das nicht geeignet. Das sind Recherchenotizen, das ist kein Buch. Da ist nichts von einem persönlichen Stil zu spüren.« Lang verzog das Gesicht. »Andererseits«, fügte ich schnell hinzu, »ist die Arbeit nicht ganz umsonst gewesen. Man kann Fakten und Zitate rausziehen, und gegen den Aufbau, die sechzehn Kapitel, habe ich eigentlich auch nichts einzuwenden. Allerdings würde ich einen anderen Einstieg wählen, etwas Persönlicheres.«
Die vietnamesische Haushälterin brachte den Eistee. Sie war ganz in Schwarz gekleidet – schwarze Seidenhose, schwarzes kragenloses Hemd. Als sie mir das Glas gab, wollte ich mich vorstellen, aber sie wich meinem Blick aus.
»Sie haben die Geschichte von Mike gehört?«
»Ja«, sagte ich. »Tut mir leid.«
Lang wandte den Kopf zur Seite und schaute zu dem dunklen Fenster. »Wir sollten irgendwas Nettes über ihn einbauen. Wegen seiner Mutter, das würde ihr gefallen.«
»Das ist sicher kein Problem.«
»Er war lange bei mir. Schon seit der Zeit, bevor ich Premier wurde. Hat sich in der Partei hochgearbeitet. Ich habe ihn von meinem Vorgänger übernommen. Da glaubt man, dass man jemanden ziemlich gut kennt, und dann ...« Er zuckte die Achseln und starrte in die Nacht.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also hielt ich den Mund. Es liegt in der Natur meiner Arbeit, dass ich die Rolle des Beichtvaters übernehme. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, mich wie ein Therapeut zu verhalten – still dazusitzen und dem Patienten Zeit zu lassen. Ich fragte mich, was er da draußen sah. Nach etwa einer halben Minute schien ihm wieder einzufallen, dass ich auch noch im Zimmer war.
»Also dann. Wie lange brauchen Sie mich?«
»Fulltime?« Ich nippte an dem viel zu süßen Tee und bemühte mich, dabei nicht das Gesicht zu verziehen. »Wenn wir knallhart arbeiten, müsste das Gröbste in einer Woche zu schaffen sein.«
»Eine Woche?« Er schaute mich kurz erschrocken an.
Ich widerstand der Versuchung, ihn darauf hinzuweisen, dass zehn Millionen Dollar für eine Woche Arbeit nicht gerade Mindestlohn sei. »Möglich, dass ich danach ab und an noch mal nachbohren muss, aber wenn Sie mir bis Freitag zur Verfügung stehen, dann habe ich genug beisammen, um den ersten Entwurf hier umzuschreiben. Wichtig ist, dass wir gleich morgen anfangen, damit wir schon mal die frühen Jahre abhaken können.«
»Gut. Je früher wir es hinter uns bringen, desto besser.« Plötzlich beugte Lang sich vor und stützte, das Glas zwischen den Händen, die Ellbogen auf die Knie – eine Haltung aufrichtiger Vertrautheit. »Ruth dreht hier draußen noch völlig durch. Die ganze Zeit schon sag ich ihr, flieg nach London, besuch die Kinder, und ich schreib hier das Buch fertig. Aber sie will nicht. Übrigens, eins wollte ich Ihnen noch sagen, ich mag Ihre Arbeit.«
Ich verschluckte mich fast an meinem Tee. »Sie haben was davon gelesen?« Ich versuchte mir vorzustellen, welcher Fußballer, Rockstar oder Realityshow-Teilnehmer wohl die Aufmerksamkeit des Premierministers erregt
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