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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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nicht.
    »So zu enden, an so einem trostlosen Ort«, sagte ich.
    »Das ist kein trostloser Ort. Wenn die Sonne scheint, ist es wundervoll. Erinnert mich an Cornwall.«
    Sie trippelte den schmalen Pfad hinunter und ich hinter ihr her. Als sie das Fahrrad erreichte, schwang sie sich zu meiner Überraschung in den Sattel, strampelte den Weg hinauf und blieb nach etwa hundert Metern am Waldrand wieder stehen. Als ich sie eingeholt hatte, schaute sie mich durchdringend an. Im verblassenden Licht des Nachmittags sahen ihre dunkelbraunen Augen fast schwarz aus. »Glauben Sie, dass bei seinem Tod etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen ist?«
    Die Direktheit der Frage erwischte mich auf dem falschen Fuß. »Ich bin mir nicht sicher«, antwortete ich. Wenn ich mehr gesagt hätte, hätte ich mich nicht zurückhalten können, ihr auf der Stelle zu erzählen, was ich von dem alten Mann erfahren hatte. Aber ich wusste instinktiv, dass es weder die passende Zeit noch der passende Ort dafür war. Ich war mir meiner Informationen nicht ausreichend sicher, und es wäre mir grob vorgekommen, einer trauernden Freundin unbewiesenen Tratsch aufzutischen. Außerdem hatte ich ein bisschen Angst vor ihr: Ich wollte nicht zur Zielscheibe eines ihrer vernichtenden Kreuzverhöre werden. Also sagte ich nur: »Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genug darüber. Ich nehme doch an, dass die Polizei die ganze Sache ziemlich gründlich untersucht hat.«
    »Ja. Klar.«
    Sie stieg aus dem Sattel, übergab mir das Fahrrad, und zusammen nahmen wir durch die Straucheichen hindurch den Anstieg in Richtung Straße in Angriff. So weit weg vom Meer war es viel ruhiger. Der Regen hatte fast aufgehört, und ich konnte sogar das Klicken des Hinterrades hören, während wir gingen.
    »Am Anfang war die Polizei sehr eifrig«, sagte sie. »Aber in letzter Zeit hat sich kaum noch etwas getan. Ich glaube, die haben die gerichtliche Untersuchung erst einmal eingestellt. Na ja, sonderlich interessiert sind sie wohl nicht gewesen. Mikes Leiche ist letzte Woche freigegeben und von der Botschaft nach England überführt worden.«
    »Ach.« Ich bemühte mich, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen. »Kommt mir ziemlich schnell vor.«
    »Kann man so nicht sagen. Das ist jetzt drei Wochen her. Man hat hier eine Autopsie durchgeführt. Er war stark alkoholisiert und ist ertrunken. Ende der Geschichte.«
    »Aber warum war er überhaupt auf der Fähre ?«
    Sie sah mich scharf an. »Wie soll ich das wissen? Er war ein erwachsener Mensch. Er musste nicht für jeden seiner Schritte Rechenschaft ablegen.«
    Schweigend gingen wir weiter. Mir kam der Gedanke, dass McAra die Insel ohne Probleme für ein Wochenende hätte verlassen können, um sich in New York mit Richard Rycart zu treffen. Das würde erklären, warum er sich Rycarts Nummer notiert hatte, und auch, warum er den Langs nicht gesagt hatte, wohin er fuhr. Wäre ja wohl auch kaum gegangen. »Also dann, meine Lieben, ich fahr mal eben rüber zur UN und plaudere ein bisschen mit eurem erbittertsten politischen Feind .. .«
    Wir kamen an dem Haus vorbei, wo ich vor dem sintflutartigen Regen Zuflucht gesucht hatte. Aber das weiße Schindelhaus wirkte so verlassen, wie es mir auch zuvor schon erschienen war – und zwar so kalt, verrammelt und ausgestorben, dass ich mich fast fragte, ob ich mir meine Begegnung mit dem Alten nicht nur eingebildet hatte.
    »Am Montag ist in London die Beerdigung«, sagte Ruth. »Ich überlege, ob ich nicht hinfliegen soll. Einer von uns beiden sollte sich da blicken lassen, und es sieht ja nicht danach aus, als ob das mein Mann wäre.«
    »Hatten Sie nicht gesagt, Sie könnten ihn nicht allein lassen?«
    »Es sieht doch wohl eher danach aus, als hätte er mich allein gelassen, oder etwa nicht?«
    Danach sagte sie nichts mehr, sondern fummelte wieder an ihrer Kapuze herum, obwohl es eigentlich keinen Grund mehr dafür gab, sie hochzuziehen. Ich half ihr mit meiner freien Hand, und sie zog sich die Kapuze halb über den Kopf. Ohne sich zu bedanken, ging sie, jetzt ein Stückchen vor mir, mit auf den Boden gerichtetem Blick weiter.
    Am Ende des Weges wartete Barry auf uns. Er saß in dem Minivan und las in einem Harry-Potter-Roman. Der Motor lief, und die Scheinwerfer waren angestellt. Gelegentlich schrappte geräuschvoll der große Scheibenwischer über das Glas. Unübersehbar widerwillig legte er das Buch zur Seite, stieg aus, öffnete die Heckklappe und schob die Sitze nach vorn.

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