Glashaus
gesehen. Doch die Ausgeglichenheit und überlegene Ruhe, mit der Stiller über den Mord an seinem Sohn sprach, jagte ihm Schauer über den Rücken.
„ Wer immer meinen Sohn erschossen hat müsste schon sehr viel Pech haben wenn er dafür mehr als die üblichen zwölf bis fünfzehn Jahre kassiert. Aber zwölf bis fünfzehn Jahre Knast sind mir zuwenig. Das hat mein Junge nicht verdient.“
Einen Moment starrte Stiller blicklos zum Fenster.
„ Legen Sie den Mann, der meinen Sohn erschossen hat, um.“
Zwei Uniformierte, die draußen damit begannen Schaulustige von der rot–weißen Polizeiabsperrung zurückzudrängen.
„ Sie sind verrückt, Stiller.“
Stiller hielt Boyles Blick zu lange stand.
„ Suchen Sie es sich aus – entweder das oder Sie gehen noch heute Nacht zusammen mit Teddy Amin in Untersuchungshaft. Und glauben Sie bloß nicht ich hätte nicht den Mumm Sie ins Gefängnis zu schicken. Ich bin schon lange darüber hinaus noch auf irgendetwas Rücksicht zu nehmen. Mir ist scheißegal von wie vielen Plakaten Ihre Visage gerade heruntergrinst. Oder welche Talkshowqueen Sie mal durch ihr Fernsehstudio geschleift hat. Legen Sie sich quer, schließt Haffner Teddy Amin und Sie heute Nacht noch weg.“
Stiller meinte was er sagte. Und doch gab es etwas in seinem Verhalten, das Boyle zuflüsterte: Er lügt.
Margaret Stillers bittere Worte, die gleichzeitig dazu in Boyles Hirn umherrollten: „Mein Sohn ist bereits vor langer Zeit gestorben.“
Was, fragte sich Boyle, konnte EINE MUTTER dazu bringen so über ihren Sohn zu reden?
Die Stille im Flur erschien Boyle plötzlich unglaublich laut. Boyle hatte drei Jahre im Sittendezernat gearbeitet, das unter anderem für jede Art von Erpressungen zuständig war. Eine Lehre hatte er aus dieser Zeit mitgenommen: Es gab nur drei Wege sich von einem Erpresser zu befreien: Ihn töten, ihm zu geben, was er verlangte oder – etwas zu finden womit er seinerseits ebenso erpressbar war wie sein Opfer.
Es musste einen Grund dafür geben, dass Stillers Sohn erschossen worden war. Die wenigsten Mörder gingen los, um aus reiner Mordlust zu töten. Und es musste einen Grund für die tiefe Verachtung geben, mit der Margaret Stiller über ihren Sohn gesprochen hatte.
Genau dort - nicht in dem Verlangen nach Rache, das er vorgeschoben hatte - lag das Motiv aus dem Stiller den Mörder seines Jungen ebenfalls tot sehen wollte. Das Geheimnis dieses Motivs zu lüften, war Boyle überzeugt, hieß Stiller ebenso in der Hand zu haben wie Stiller ihn gerade eben selbst in der Hand zu haben glaubte.
Stiller musste gewusst haben, dass Boyle unbedingt zur Mordkommission wechseln wollte. Stiller musste außerdem zumindest geahnt haben, dass Boyle nicht auf dieselbe Weise fasziniert vom Töten war wie Haffner und seine Leute, die wohl ihre eigene dunkle Seite zur MoKo gelockt hatte.
Boyle hingegen hatte zur Mordkommission wechseln wollen weil ihm eines Tages klar wurde, dass es - wie viele Motive es auch für einen Mord geben mochte - nur zwei Eigenschaften gab, die einen Menschen zu einem Mord befähigen konnten: Entweder wirklicher Mut oder die Fähigkeit zu rasend blinder Wut. Boyle zweifelte nicht, dass er im Grunde ein Feigling war. Mehr noch als nur feige - in gewissem Sinn waren ihm alle Menschen sogar zutiefst gleichgültig. Doch Paradoxerweise war es gerade diese Gleichgültigkeit, die ihn zweifellos zum besten Mordermittler der Stadt qualifizierte.
Gespenstisch die Erkenntnis, dass Stiller ihn so klar und deutlich durchschaut hatte, wie kein anderer je zuvor.
20 Uhr 55. Younas stellte den Motor des Toyotas ab. Vor ihm lag ein gepflasterter Weg, der sich im Dunklen des Stadtparks verlor.
Dieser Ort war so gut wie jeder andere, dachte er.
Die Uhr im Armaturenbrett zeigte auf fünf vor neun.
Es war vorbei. Er hatte es getan. Doch, sobald er in sich hineinhorchte, fand er dort statt Empfindungen nur tonlose Bilder. Eine grobkörnige endlose Filmschleife, die immer wieder von neuem ablief.
Sertab hatte ihm Namen und Hausnummer des Jungen auf einen Zettel geschrieben.
Ein großes modernes Haus mit einem blauen Garagentor und Messinglettern am Pfeiler neben der Gartentür.
Halifs Pistole lag unter einer Decke verborgen, auf dem Beifahrersitz.
Die Zeit, die er, nachdem er Haus und Straße gefunden hatte, in seinem Toyota gesessen und gewartet hatte, bis es soweit war. Zwar hatte er das Klingeln des Telefons im Haus nicht hören können, doch hatte er diesmal keine
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