Glaube der Lüge: Ein Inspector-Lynley-Roman (German Edition)
hatte, den sie nicht hatte unterdrücken können, hatte er hinzugefügt: »Mach dir keine Sorgen , Allie«, womit er ihr hatte versichern wollen, dass, was auch immer ihm auf der Seele lag, nichts mit seiner Drogenvergangenheit zu tun hatte. Das hatte sie auch gar nicht angenommen, aber sie hatte mitgespielt und gesagt: »Vielleicht solltest du mal mit jemandem reden, Nicky. Du weißt doch, wie das ist«, und er hatte genickt. Dann hatte er sie liebevoll angesehen, und plötzlich war ihr klar geworden, dass das, was ihn bedrückte, nur mit ihr zu tun haben konnte.
Sie hatten nicht miteinander geschlafen. Auch das war untypisch für Nicholas, denn sie hatte sich ihm genähert, und nicht umgekehrt, dabei mochte er es so sehr, wenn sie die Initiative ergriff. Denn er war kein Trottel und wusste genau, wie ungleich sie wirkten, zumindest in den Augen derjenigen, die die Welt nach Äußerlichkeiten beurteilten. Deswegen hatte ihn die Tatsache, dass sie ihn genauso häufig begehrte wie er sie, immer fasziniert. Dass er auf ihre Annäherungsversuche nicht reagiert hatte, war auch ein Zeichen. Das war noch nie vorgekommen.
Was Alatea schon am frühen Morgen in den Garten getrieben hatte, war also zum einen das Bedürfnis, sich zu beschäftigen und von den schrecklichen Möglichkeiten abzulenken, die ihr in der Nacht alle eingefallen waren. Zum anderen hatte sie Nicholas einfach nicht sehen wollen, denn das, was ihn bedrückte, würde über kurz oder lang ans Licht kommen, und damit, so fürchtete sie, würde sie nicht fertigwerden.
Es mussten mehrere tausend Zwiebeln in den Boden. Sie wollte über den ganzen Rasen verteilt Sternhyazinthen pflanzen, damit der ganze Hang sich zu Beginn des Frühjahrs in ein Meer aus Grün und Blau verwandelte, und das war eine Menge Arbeit, genau das, was sie jetzt brauchte. Natürlich würde sie an einem einzigen Vormittag nicht fertig werden, aber es war schon mal ein Anfang. Sie ging mit Schaufel und Spaten zu Werke, und die Stunden vergingen wie im Flug. Als sie sich ganz sicher war, dass ihr Mann das Haus verlassen hatte und zur Arbeit aufgebrochen war, legte sie das Gartenwerkzeug weg, richtete sich auf und rieb sich den schmerzenden Rücken.
Erst kurz bevor sie das Haus erreichte, sah sie Nicholas’ Auto in der Einfahrt stehen. Ihr Blick wanderte zum Haus, und die Angst kroch ihr in den Nacken.
Sie ging hinein. Er war in der Küche, saß an dem großen Eichentisch, tief in Gedanken versunken. Vor ihm standen die Kaffeekanne, eine Tasse und die Zuckerdose. Aber die Kaffeetasse schien unangerührt, und der Kaffee in der Kanne war längst kalt geworden.
Er war gar nicht für die Arbeit gekleidet, fiel ihr auf, sondern hatte sich nur den Morgenmantel, den sie ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, über den Schlafanzug gezogen. Er saß mit nackten Füßen am Tisch, und die Kälte der Bodenfliesen schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Das alles passte überhaupt nicht zu Nicholas, am allerwenigsten die Tatsache, dass er nicht zur Arbeit gegangen war.
Alatea wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie griff ihr Gespräch vom Abend wieder auf. »Nicky«, sagte sie. »Wieso bist du denn noch zu Hause? Bist du krank?«
»Nein, ich musste nur nachdenken.« Als er sich zu ihr umdrehte, sah sie, dass seine Augen blutunterlaufen waren. Ein eisiger Schauder kroch ihr die Arme hoch und legte sich um ihr Herz. »Und hier kann ich das am besten«, fügte er hinzu.
Es widerstrebte ihr, die logische Frage zu stellen, aber sie nicht zu stellen, wäre allzu verräterisch gewesen. »Worüber musst du denn nachdenken? Was ist los?«
Er antwortete nicht gleich, sondern wandte sich ab. Sie schaute ihn unverwandt an. Er schien über ihre Frage nachzudenken und darüber, welche Antwort er ihr geben sollte. Dann sagte er: »Manette ist bei mir gewesen. In der Firma.«
»Gibt es Probleme in der Firma?«
»Nein, es geht um Tim und Gracie. Sie möchte, dass wir die Kinder zu uns nehmen.«
»Zu uns nehmen? Wie meinst du das?«
Er erklärte es ihr. Sie hörte ihm zu und hörte doch nichts, denn sie war viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Ton zu interpretieren. Er redete von seinem Vetter Ian, von Ians Frau Niamh und von Ians Kindern. Alatea kannte sie natürlich alle, aber sie hatte nicht gewusst, wie Niamh zu ihren Kindern stand. Unvorstellbar, dass Niamh ihre eigenen Kinder auf diese Weise benutzen würde, wie Schachfiguren in einem Spiel, das längst beendet sein müsste. Bei dem Gedanken
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