Glücksfall
ich wusste, dass Jay Parker den ganzen Tag über versucht hatte, mich zu erreichen. Ich hätte zu gerne alle gelöscht, aber ich musste mir eine Nachricht nach der anderen ansehen, falls Artie angerufen hatte. Das hatte er getan, gegen elf Uhr, aber er hatte keine Nachricht hinterlassen. Ich rief ihn an, und seine Mailbox schaltete sich ein.
Während der Fahrt zurück nach Dublin fiel mir ein, dass ich unbedingt bei Birdie Salaman anrufen sollte. Falls sie auch verschwunden war, so wie Wayne. Himmel, das fehlte mir noch!
Ich stellte mein Handy auf Lautsprecher – immer an die Sicherheit denken, so bin ich – und wählte die Nummer von Brown Bags Please.
Die Mutter mit einer Vorliebe für Cornetto nahm ab: »Brown Bags Please.«
»Kann ich bitte Birdie Salaman sprechen?«
»Ich stelle durch.« Nicht: Wen soll ich melden? Nicht: Worum geht es? So un professionell.
Nach einem Klicken sagte eine angenehme, mädchenhafte Stimme: »Birdie Salaman am Apparat. Was kann ich für Sie tun?«
Gut. Wenn sie zur Arbeit gekommen war, dann war alles in Ordnung. Ich brannte darauf, sie zu fragen, wo sie den gestrigen Tag und Abend verbracht hatte, aber ich legte ohne ein Wort auf.
Im nächsten Moment klingelte es bei mir. Bella war dran.
»Helen? Hier ist Bella Devlin.«
»Ich weiß, Süße, ich kann das auf meinem Handy sehen, du brauchst dich nicht jedes Mal vorzustellen. Wie geht es dir nach deinem Sturz gestern? Hast du viele blaue Flecken?«
»Es geht mir gut. Ich hatte nur einen bösen Schock, mehr nicht. Ich rufe an, weil ich dir etwas Schönes erzählen möchte. Gestern Abend, als Mum hier war …«
»Vonnie war gestern schon wieder da?« Die Worte waren draußen, bevor ich mich zurückhalten konnte. Nicht richtig, das vor Bella zu sagen, nicht cool. Aber Vonnie war an den letzten … wie vielen Abenden? … vier Abenden in Arties Haus gewesen. Jeden Abend seit Donnerstag. Und eigentlich müsste sie mal wieder die Kinder zu sich nehmen, oder?
»Ja.« Nachdenklich sagte Bella: »Wahrscheinlich ist sie jetzt einsam, weil Steffan und sie sich getrennt haben.«
»Sie haben sich getrennt? Wann?« Und warum hatte mir das niemand gesagt?
Der Ansatz eines Gefühls, so klein, dass ich es nicht identifizieren konnte, machte sich in mir bemerkbar.
»Ich weiß nicht, wann das war. Ich glaube, vor Kurzem. Mum hat es erst gestern erzählt. Aber ich habe schon eine Weile eine Leere in ihr gespürt. Kann ich dir meine schöne Geschichte erzählen?«
»Entschuldige, Bella, erzähl sie, bitte.«
»Mum und ich haben im Wandschrank einen perfekten rosa Schlafanzug gefunden. Er war noch eingepackt. Wir glauben, jemand hat ihn Iona geschenkt, aber du weißt ja«, Bellas Ton wurde etwas hochnäsig. »Iona war nie ein rosa Mädchen.«
Ich hatte keine Ahnung, woher Bella die Idee hatte, dass ich ein rosa Mädchen sei. Wahrscheinlich war es reines Wunschdenken.
»Und das Beste ist, Helen, der Schlafanzug ist für Fünf zehn- bis Sechzehnjährige, er wird dir also passen! Du kannst ihn anziehen, wenn wir unsere Pyjama-Party machen.«
»Fantastisch!«, sagte ich, und die Anstrengung, angemessene Begeisterung in meine Stimme zu legen, brachte mich beinah um. »Ich bin gerade im Auto, Süße, ich muss aufhören. Aber vielen Dank, dass du mir das erzählt hast! Und wir sehen uns bald!«
Den ganzen Weg zurück fuhr ich schneller als erlaubt und kam um halb vier in Dublin an. Einen Moment überlegte ich, ob ich bei Dr. Waterbury um einen Termin bitten sollte, aber wozu? Er hatte mir Antidepressiva gegeben, eine ziemlich hohe Dosis, mehr konnte er nicht für mich tun. Ich mochte Dr. Waterbury. Er konnte nichts dafür, dass er so nutzlos war. Das galt ja für alle Ärzte. Die Leute schienen das nicht zu bemerken, aber so war es. Was sie konnten, konnte ich auch. Es war doch alles nur ein einziges großes Ratespiel – versuchen wir es mit diesen Tabletten, vielleicht bewirken sie etwas, wenn nicht, versuchen wir es mit einem anderen Mittel, und wenn wir alle Medikamente durchprobiert und keine Besserung erzielt haben, geben wir dem Patienten die Schuld.
Nein, zum Arzt zu gehen würde nichts nützen. Stattdessen fuhr ich nach Mercy Close, in der Hoffnung, dass Nicholas, der letzte Nachbar, den ich noch befragen musste, zu Hause war. Ich hatte Glück. Er war vor seinem Haus und lud Sachen aus seinem Jeep-ähnlichen Auto. Auf dem Dach war ein Surfbrett.
Ich stellte mich vor, blieb aber vage und sagte, ich würde mich um ein paar Sachen
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