Glückskind (German Edition)
hindurchgeschoben haben muss. Er hebt ihn auf. Der Zettel stammt von Herrn Wenzel. Hans braucht eine Weile, bis er die altmodische Schrift entziffert hat: ›Lieber Hans, bitte komm gleich morgen früh ins Geschäft. Komm ohne Felizia (zu gefährlich!). Ich muss dringend mit Dir reden!!! Dein Peter Wenzek‹.
Der Zettel macht Hans sofort nervös. Er kleidet sich rasch an, dann kocht er Kaffee und anschließend geht er zu den Tarsis. Frau Tarsi öffnet ihm. Sie lächelt ihn erfreut an, als hätten sie sich lange nicht gesehen, doch als sie seinen Gesichtsausdruck sieht, stutzt sie und fragt: »Was in Gottes Namen bringen Sie mir um diese Tageszeit?« Hans erzählt ihr von Herrn Wenzels Zettel. Bevor er sie noch bitten kann, sagt Frau Tarsi: »Geben Sie mir Ihren Wohnungsschlüssel, ich gehe sofort rüber und passe auf die Kleine auf. Und Sie gehen zu Herrn Wenzel.«
Hans lächelt sie dankbar an, er löst den Wohnungsschlüssel aus seinem Schlüsselbund und gibt ihn ihr. Dann macht er sich auf den Weg nach unten.
Zur selben Zeit macht Herr Balci sich über die Treppe auf den Weg nach oben, in den fünften Stock. Er hat bereits gefrühstückt, er ist geduscht und rasiert, er hat Haarwasser eingerieben und die Haare glatt gekämmt, er ist parfümiert mit einem besonders herben Duft, den er immer benutzt, wenn er andere Leute seine Präsenz spüren lassen will. Er hat seinem Spiegelbild ein Lächeln geschenkt und ist anschließend in die Küche gegangen, um seine Frau zu küssen, während sie damit beschäftigt war, die Kinder anzutreiben, damit sie pünktlich in die Schule kommen. Sogar ihre kleine Tochter hat aufs Wort gehorcht, denn morgens überlässt Herr Balci seiner Frau das Kommando und die Kinder wissen das.
Nun steigt Herr Balci gemütlich die Treppe hinauf, stets benutzt er die Treppe, um sich in Form zu halten und gleichzeitig das Haus ein wenig zu inspizieren. Im vierten Stock verpasst er Hans, der mit dem Fahrstuhl nach unten fährt. Als Herr Balci im fünften Stock ankommt, hat Frau Tarsi gerade die Tür von Hans’ Wohnung hinter sich zugezogen. Sie hat spontan entschieden, sich, ihrem Mann und Hans ein gutes Frühstück zu bereiten, damit der Tag schön beginnt. Herr Tarsi wird gleich herüberkommen und einige Dinge bringen, die man unbedingt benötigt, wenn es schmecken soll. Herr Balci betritt den Flur. »Sieht doch ganz vernünftig aus«, murmelt er, als er sieht, dass er sauber ist. Er baut sich vor Hans’ Tür auf und läutet. Im nächsten Augenblick öffnet sich die Tür einen Spalt und von innen ruft eine fröhliche Frauenstimme: »Stell alles auf den Wohnzimmertisch, Schatz, ich füttere gerade!« Herr Balci bleibt verwirrt stehen. Vorsichtig schiebt er die Tür auf und lugt hinein. Er betritt die Diele und ist verwundert, denn hier sieht es nicht so aus, wie er erwartet hatte.
Zur gleichen Zeit überquert Hans die große Straße und eilt auf Herrn Wenzels Lotto-Toto-Geschäft zu. Dabei wird er von zwei Beamten der Kriminalpolizei beobachtet, denen nicht auffällt, dass Hans’ Bauch gar nicht mehr dick ist, weil sie ihn noch nie zuvor gesehen haben. Sie haben ihre Kollegen abgelöst, und jetzt schauen sie dem älteren Mann mit dem Glatzkopf und dem schäbigen Mantel gelangweilt nach und unterhalten sich dann weiter über die Bundesligaspiele vom Wochenende.
Im selben Augenblick, als Hans das Geschäft betritt, wo um diese Tageszeit Hochbetrieb herrscht, im selben Augenblick, als Herr Wenzel Hans erblickt, im selben Augenblick, als Herr Balci auf die Wohnzimmertür zugeht, hinter der er die Besitzerin der Frauenstimme vermutet, kommt Herr Tarsi in Hans’ Wohnung, mit einem großen Tablett, auf dem sich Käse- und Marmeladensorten, eine Teekanne, Obst, geschnittenes Brot und andere Dinge befinden. Er erschrickt, als er Herrn Balci sieht, und sagt laut, damit auch seine Frau es hört: »Guten Morgen, Herr Balci, was führt Sie zu uns?«
Auch Herr Balci erschrickt. Er wirbelt herum und steht vor Herrn Tarsi. Er sagt: »Was machen Sie in dieser Wohnung?«
Herr Tarsi lächelt und sagt: »Dasselbe könnte ich Sie fragen.«
Nun erst wird Herrn Balci bewusst, dass er selbst der Eindringling ist. Er spürt sofort, dass das nicht gut für seine Autorität ist. Er stammelt: »Ich, äh, habe geläutet und da hat eine Frau«, er zeigt auf die Wohnzimmertür, »mich hereingerufen.« Er räuspert sich, um seine Stimme wieder fest klingen zu lassen. Er sagt: »Nur deshalb bin ich
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