Gnadenlose Jagd
Strahl seiner Taschenlampe auf das Gesicht der Frau. »Überall Stichwunden, im Gesicht und am Oberkörper. Ziemliche Sauerei. Hanley hat sich offenbar viel Zeit mit ihr gelassen. Offenbar war sie nicht sehr kooperativ. Was soll ich tun?«
»Machen Sie, dass Sie da wegkommen.«
»Soll ich mich noch ein bisschen gründlicher im Haus umsehen?«
»Nein, sie wäre nicht tot, wenn die nicht bekommen hätten, was sie haben wollten. Hanley hätte sie mitgenommen.« Donavan überlegte. »Wie lange ist sie schon tot?«
»Ich bin kein Gerichtsmediziner, aber ich würde sagen, zwölf Stunden, wenn wir davon ausgehen, dass Hanley sie getötet hat.«
»Dann weiß Marvot schon seit einem Tag, was Kersoffs Frau verkaufen wollte. Das ist gar nicht gut. Wischen Sie alle Fingerabdrücke ab und entfernen Sie alles, was verraten könnte, dass Sie dort waren, und kommen Sie zurück. Ich muss Kilmer anrufen.«
7
» ZWÖLF STUNDEN«, WIEDERHOLTE Kilmer. »Vielleicht spielt es keine Rolle. Falls Kersoffs Informant bei der CIA ist, wird er Marvot nichts nützen, solange niemand in Langley weiß, wo Grace steckt.«
»Falls«, wiederholte Donavan.
»Die sind aus dem Spiel. Grace hat mit ihnen gebrochen.«
»Aber die haben immer noch Kontakte zum FBI. Was soll das FBI daran hindern, sich mit der Polizei bei euch vor Ort in Verbindung zu setzen, um Informationen zu erhalten?«
»Nichts.« Und angeblich waren das FBI und die CIA neuerdings eher geneigt, miteinander zu kooperieren. Kilmer hatte zwar noch nicht viel davon mitbekommen, aber das könnte eine Ausnahmesituation sein. Wenn im Kongress über Budgetkürzungen diskutiert wurde, konnte das leicht zum Schulterschluss der beiden Institutionen führen. »Ich werde Blockman darauf ansetzen. Bisher hat er noch nichts in Erfahrung gebracht, aber wir sind ja auch erst seit ein paar Tagen hier.«
Donavan antwortete nicht gleich. »Erzählst du Grace davon?«
»Wozu? Damit sie sich Sorgen wegen etwas macht, woran sie sowieso nichts ändern kann?«
»Grace würde es nicht gefallen, über etwas im Dunkeln gelassen zu werden, was Auswirkungen auf sie und die Kleine haben könnte.«
»Grace gefällt überhaupt nichts von dem, was im Moment passiert. Deswegen werde ich mir sehr gut überlegen, was ich ihr erzähle, bis du mir etwas Brauchbares lieferst, so dass ich zuschlagen kann.«
»Pass bloß auf, dass sie nicht zuschlägt, wenn sie dein Spiel durchschaut. Ich melde mich wieder, sobald ich was Neues erfahre.« Er legte auf.
Donavan hatte recht, Grace würde es ihm sehr übel nehmen, wenn er ihr Informationen vorenthielt, selbst wenn er es tat, um sie zu schonen. Verflucht. Die ganzen Jahre über war er gezwungen gewesen, sich zurückzuhalten und Grace die Sache allein ausbaden zu lassen. Er würde jetzt nicht den Schwanz einziehen. Er würde tun, was er –
Musik.
Aus dem Radio? Nein, verhaltene, liebliche Klänge. Ein Keyboard.
Er warf einen Blick auf seine Uhr. 1 Uhr 40, und die Musik kam von der Veranda. Er ging zur Haustür und schaute nach draußen.
Frankie hockte auf der Veranda, vor sich das Keyboard. Sie trug einen weißen Flanellbademantel und rosafarbene Plüschpantoffeln, und sie beugte sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck über die Tasten. Neben ihr lag eine Taschenlampe, aber sie war nicht eingeschaltet.
Sie musste seine Anwesenheit gespürt haben, denn sie hob leicht den Kopf. »Mom?«
»Nein.« Er öffnete die Tür und trat auf die Veranda. »Weißt du, wie spät es ist, Frankie?«
Sie seufzte. »Erwischt. Aber zum Glück bist du nicht Mom. Ich wollte sie nicht wecken. Sie ist immer so müde, nachdem sie ein Pferd zugeritten hat.«
»Kann das nicht bis morgen warten?«
Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal hört die Musik nicht einfach auf, bloß weil es dunkel wird und es Zeit ist, ins Bett zu gehen. Und diese Musik ist für Charlie, ich muss sie unbedingt festhalten.«
»Verstehe.« Klar, ein ganz normales Kind. Von wegen. »Aber du bringst mich in eine Zwickmühle. Ich glaube nicht, dass deine Mutter es gern sieht, wenn du um diese Zeit allein draußen bist. Außerdem ist es ziemlich kühl. Was würde sie tun, wenn sie dich hier draußen antrifft? Würde sie dich ins Bett schicken?«
»Nein, deswegen bin ich rausgeschlichen, nachdem sie eingeschlafen war.« Frankie verzog die Mundwinkel. »Sie würde hier bei mir bleiben, bis ich fertig bin. Sie weiß, wie das mit der Musik ist.« Sie runzelte die Stirn. »Wirst du ihr sagen, dass ich hier auf der
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