Götterbund (German Edition)
wissen, bevor sie sich in die Menschenmenge stürzte. Die Körper um sie herum protestierten und schubsten, als sie sich durch sie hindurch zwängte. Bald verlor Yanna die Orientierung. Überall Menschen, fast alle größer als sie. Ihr brach der Schweiß aus. Sie konnte nichts sehen, konnte kaum atmen. Verzweifelt stürzte sie vor und fiel fast über den blutroten Teppich. Eine kräftige Hand packte sie am Arm und schleuderte sie zurück in die Menge. Als sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte, schaute sie sich um. Sie stand nun direkt vor dem freigelassenen Weg, den die Trauerprozession gleich zurücklegen würde. Gierig sog sie die frische Luft ein und spürte, wie sich ihr Puls normalisierte.
Es war einer der Gardisten gewesen, der sie gepackt und zurückgezogen hatte. Sie standen rechts und links des Weges, um zu kontrollieren, dass der Teppich frei blieb.
Yanna sah hoch zum Palasteingang, doch es war noch niemand dort zu sehen. Neugierig musterte sie die Gardisten, bis ihr Blick an einem bekannten Gesicht hängen blieb. Es war ein sehr ansehnliches Gesicht mit leuchtend grünen Augen. Shaquess. Er stand auf der gegenüberliegenden Seite des Weges. Im Gegensatz zu den anderen Gardisten schien er nicht dafür zuständig zu sein, neugierige Menschen vom Weg fernzuhalten. Zusammen mit den übrigen drei Taissins stand er direkt unterhalb der Treppe zum Palasteingang. Zwei auf dieser, zwei auf der anderen Seite. Sie alle trugen, wie es für Taissins im Dienst üblich war, die aufgemalte, rote Flamme auf der Stirn. Das Symbol der Königsfamilie.
Shaquess hatte Yanna ebenfalls entdeckt. Für einen Moment zeigten seine feinen Züge Überraschung. Dann hob er eine Augenbraue und lächelte. Yanna schien es ein aufrichtiges Lächeln zu sein, wenn es auch nicht ganz frei von Ironie war.
Sie lächelte zurück. Wirklich schade, dass Shaquess bei ihrem ersten Treffen so schnell verschwunden war. Sie hatte selten einen annähernd interessanten Menschen getroffen wie ihn. Yanna warf einen kurzen Blick zum Palasteingang, um sicher zu stellen, dass die Zeremonie noch immer nicht begonnen hatte, dann musterte sie Shaquess erneut. Wieder trug er die schwarze Gardistenuniform, sowie den kurzen roten Umhang darüber. Das dunkle Haar fiel ihm ins Gesicht und verdeckte beinahe die Flamme auf seiner Stirn.
Plötzlich stoppte das Harfenspiel.
Yanna fuhr herum. Vergessen war Shaquess, als plötzlich eine Gestalt aus dem Inneren des Palastes trat. Yanna Herz hämmerte in der Brust, während sie den König anstarrte. Es war, als sehe sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben. Er trug die dunkelrote Königsrobe, die an den Ärmeln und am Saum mit einer schwarzen Borte verziert war und ihm bis zu den Knien fiel. Halblanges, hellbraunes Haar umrahmte sein ernstes Gesicht. Die grauen Augen, die ihr auf einmal seltsam bekannt vorkamen, blickten über die Menge hinweg. Yanna wartete voll Ungeduld darauf, dass Rajatshas die Treppe hinunter kommen würde und sie ihn von Nahem mustern konnte.
Doch der König kam nicht. Er stand nur da, einen Schritt von der obersten Stufe entfernt, und starrte ins Leere. Ganz so, als würde er etwas hören oder fühlen, das für die tausend Menschen um ihn herum nicht greifbar war. Dann drehte er den Kopf. Und sah Yanna direkt in die Augen.
Kapitel 3
Yanna stockte der Atem. Obwohl Rajatshas noch immer am Treppenabsatz stand, war er ihr plötzlich ganz nah. Alles um sie herum verschwamm, nur der König war noch wichtig. Und plötzlich fühlte Yanna sich zum ersten Mal in ihrem Leben vollständig.
Sie taumelte, als Rajatshas schon im nächsten Moment den Blickkontakt löste. Jemand fasste sie am Arm und zerrte sie zurück in die Menschenmenge.
„Woher kennst du ihn?“, zischte Ehliyans Stimme an ihrem Ohr.
Yannas stellte sich auf die Zehenspitzen, um Rajatshas im Auge zu behalten. Er war die Treppe hinunter gekommen und schritt nun langsam über den roten Teppich. Hinter ihm folgten die vier Taissins. Weiter dahinter sechs Gardisten, die eine in Tücher gewickelte Gestalt trugen.
Ehliyan packte Yanna an den Schultern und schüttelte sie.
Yanna erwachte aus ihrer Trance und sah den jungen Mann an. „Wie kommst du darauf, dass ich Rajatshas kenne? Das ist absurd.“ Sie warf einen nervösen Blick auf den Haarschopf des Königs, der sich hinter den vielen Köpfen der Schaulustigen weiter auf den Scheiterhaufen zu bewegte. „Lass uns nachher darüber reden. Ich möchte die Zeremonie nicht
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